Erneuerbare Energien

Eiswasser heizt Heißwasser

Molkerei setzt auf Hochtemperatur vom Wärmepumpen-Trio

Freitag, 15.04.2022

Im norwegischen Bergen deckt ein dreistufiges Wärmepumpensystem in einer neu gebauten Molkerei den gesamten Kälte- und Wärmebedarf.

Das Bild zeigt die Wärmepumpe in der Molkerei.
Quelle: Schlemminger/SINTEF
Das Energiekonzept basiert auf einem dreistufigen System aus Wärmepumpen und Kältemaschinen.

Zwischengeschaltete Tanks als thermische Energiespeicher gleichen Verschiebungen zwischen Angebot und Nachfrage aus. Eine Ammoniak-Wasser-Hybrid-Wärmepumpe sorgt für Hochtemperaturen von über 100 °C. Der Neubau ließ zu, die verschiedenen Systeme optimal aufeinander abzustimmen und die maximal benötigte Temperatur für das Prozess-Heißwasser zu reduzieren.

Die Molkerei der Tine SA verarbeitet jährlich rund 45 Mio. l Milch und Getränke, aufgeteilt in 83 Prozent Flüssigmilch, vier Prozent Sahne und 13 Prozent Saft. Den gesamten Prozessbedarf an Kalt-, Warm- und Heißwasser liefern Wärmepumpen respektive Kaltwassersätze. Zur Entkopplung von Wärmequellen und Wärmesenken speisen die Maschinen in Tanks ein und flexibilisieren so die Versorgung. Den Betriebsstrom stellen unter anderem PV-Paneele mit einer Fläche von 6.000 m2 auf den Dächern der Gebäude bereit. Die jährliche Erwartung liegt bei etwa 0,5 GWh. Wärme- und kälteseitig installierten die Anlagenbauer Kaltwassersätze mit einer Gesamtleistung von 2.400 kW für eine Temperaturspreizung -1,5/ 40 °C, NH3-Wärmepumpen (1.600 kW, 20/67 °C) und eine Hybrid-Wärmepumpe mit einem Ammoniak/Wasser-Gemisch als Kältemittel und einer Leistung von 940 kW für eine Spreizung 60/95 °C. Das heißt, kondensatorseitig muss das Temperaturangebot dieses Aggregats über 100 °C hinaus gehen, um den Prozesswasser-Vorlauf auf 95 °C zu temperieren.

Das Bild zeigt eine Prinzipskizze.
Quelle: Schlemminger/SINTEF
Im Bild: Die Ammoniak-Wasser-Wärmepumpe vor Ort sowie in der Prinzipskizze.

Erwärmung in Linie

Auf der Jahrestagung des Deutschen Kälte- und Klimatechnischen Vereins (DKV) im November 2021 in Dresden ging Christian Schlemminger vom norwegischen Forschungsinstitut SINTEF auf Details des Energieschemas ein. In Abb. 2 sind die Abnehmer für die Kälte und für die Wärme wiedergegeben. Mehrfach handelt es sich um ein und dieselbe Komponente, die im Wechsel heißes und kaltes Wasser verlangt. Tanks zum Beispiel müssen die Produkte nahe dem Gefrierpunkt halten, aber natürlich auch periodisch mit Heißwasser gereinigt werden. Praktisch zieht jede thermische Desinfektion von Anlagenteilen einen nachfolgenden Kühlprozess nach sich.

Ein Beispiel des Prozessverlaufs sieht so aus, dass der Kaltwassersatz mit seiner warmen Seite den 40-°C-Tank belädt, der mit diesem Eintrag das Brauchwarmwasser und den Vorlauf der Gebäudeheizung nahe 40 °C vorwärmt als auch für die Ammoniak-Wärmepumpe die Wärmequelle bildet. Sie, die NH3-Wärmepumpe, hebt die 40 °C auf die Endtemperatur für Heizung und legionellenfreies Brauchwarmwasser von 67 °C an. Und damit auch auf das Eingangsniveau für die Hybrid-Wärmepumpe. Die erhitzt es für die Lebensmittelproduktion auf 95 °C nach.

Das NH3/H2O-Aggregat verbindet die Funktionsprinzipien einer Absorptions- und einer Kompressionswärme-pumpe. Als Backup sieht die Anlagenarchitektur einen elektrischen Heizer vor. Molkereien zur Versorgung mit Lebensmitteln gelten in Norwegen als systemkritisch, deshalb muss Redundanz eingeplant sein. Der elektrische Anschluss erlaubt in Kombination mit dem Wärmespeicher, die Wärmepumpe nicht auf Spitzenlast auszulegen. Die Investitionskosten (CAPEX) in die Wärmepumpe liegen zwar höher als für Strom direkt, aber die Betriebs-kosten aufgrund des COP sehr viel niedriger (OPEX). Denn zur Wirtschaftlichkeit ist zu sagen, dass in Norwegen die Kilowattstunde fossile Energie, Öl oder Flüssiggas, mit 7 Cent plus/minus in etwa so viel kostet wie die Kilowattstunde Strom. Mangels Erdgasnetz spielen in dem „plus/minus“ unter anderem die Transportkosten für das Flüssiggas, je nach Entfernung, eine erhebliche Rolle. Eine Halbierung der Stromkosten durch einen Wärme-pumpen-COP von nur 2,0 refinanziert bereits den Wechsel von Öl oder Gas zur Prozess-Heißwassererzeugung mit Elektrizität. Die stammt zudem zu 95 Prozent aus Wasser- und Windkraftwerken, ist mithin klimaneutral. !PAGEBREAK()PAGEBREAK!

Das Bild zeigt eine Fallstudie Wärmepumpe Molkerei.
Quelle: Schlemminger/SINTEF
Alle Prozesse in der Molkerei sind durch Wärmepumpen sowie Speicher miteinander verbunden. Damit wird eine maximale Verzahnung der Kühlprozesse (Wärmequellen) und Heizprozesse (Wärmesenken) sichergestellt.

Betriebs- versus Investitionskosten

Die gewählte Ausführung stellt das Kostenoptimum im Anlagendesign dar. Christian Schlemminger: „Die richtige Dimensionierung oder Minimierung der Wärmepumpensysteme im Verbund mit thermischen Energiespeichern ist wichtig für den effizienten Betrieb der Anlage und für die optimale Versorgung der Prozessverbraucher. Das Ziel ist dabei, den Ausgleich von produktionsbedingt auftretenden Lastspitzen und zeitlichen Schwankungen zwischen vorhandenem Wärmeangebot und -bedarf sowie von Temperaturunterschieden zu ermöglichen.“

Die Abteilung Energie- und Prozesstechnik der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) analysierte über eine Woche im Februar 2020 den Betrieb. Der Gesamtenergiebedarf bewegte sich bei 326 MWh, wobei Heißwasser von 95 °C mit 22 Prozent und Warmwasser von 67 °C mit 17 Prozent die größten Verbraucher darstellten. Die Energiebereitstellung verteilte sich zu 56 Prozent auf Elektrizität, elf Prozent Fernwärme und zu 33 Prozent auf die Rückgewinnung von Abwärme aus den NH3-Kaltwassersätzen. Die Abb. 3 veranschaulicht die thermischen Stundenlastprofile der verschiedenen Verbraucher und Erzeuger innerhalb der untersuchten Woche. Wärmebedarf und -versorgung stimmen die meiste Zeit gut überein. Das heißt, die Wärmespeicher schaffen tatsächlich einen angemessenen Ausgleich für das Ungleichgewicht zwischen der benötigten Prozesswärme und der von dem Wärmepumpensystem gelieferten Wärme. Der Nutzungsgrad der Abwärme steigt damit auf etwa 95 Prozent.

Das Bild zeigt ein Diagramm.
Quelle: Schlemminger/SINTEF
Die übereinander gelegten Diagrammflächen spiegeln die thermischen Lastprofile der Wärmenutzer wider, die durchgezogene Linie die Wärmezufuhr aus der rückgewonnenen Abwärme aus den Kühlprozessen einschließlich der Abwärme der Wärmepumpen. Die gestrichelten Linien stehen für die Nutzung der jeweiligen Hilfssysteme.

Das Fazit

Die NTNU ermittelte Leistungszahlen der Wärmepumpensysteme in der untersuchten Woche von COP 4,2 für die NH3-Kaltwassersätze, COP 5,3 für die NH3-Wärmepumpen und 5,9 für die Hybrid-Wärmepumpe.

Schlemmingers Fazit: „Die Analyse hat gezeigt, dass der Prozessbedarf nahezu vollständig von den Wärmepumpensystemen gedeckt werden kann. Der hohe Nutzungsgrad der verfügbaren Abwärme von 95 Prozent führt im Vergleich zu konventionellen Produktionsanlagen mit getrennten Kühl- und Heizkreisläufen und dem Einsatz von fossilen Brennstoffen zu einem Energieeinsparpotential von bis zu 67 Prozent.“

Galerie

  • Das Energiekonzept basiert auf einem dreistufigen System aus Wärmepumpen und Kältemaschinen.
  • Im Bild: Die Ammoniak-Wasser-Wärmepumpe vor Ort sowie in der Prinzipskizze.
  • Alle Prozesse in der Molkerei sind durch Wärmepumpen sowie Speicher miteinander verbunden. Damit wird eine maximale Verzahnung der Kühlprozesse (Wärmequellen) und Heizprozesse (Wärmesenken) sichergestellt.
  • Die übereinander gelegten Diagrammflächen spiegeln die thermischen Lastprofile der Wärmenutzer wider, die durchgezogene Linie die Wärmezufuhr aus der rückgewonnenen Abwärme aus den Kühlprozessen einschließlich der Abwärme der Wärmepumpen. Die gestrichelten Linien stehen für die Nutzung der jeweiligen Hilfssysteme.
Von Bernd Genath
Düsseldorf
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