Erneuerbare Energien

JAZ, heizen: 5,2 – kaum zu glauben

Luft/Wasser-Wärmepumpe in über 100 Jahre alter Stadtvilla

Freitag, 22.03.2024

Mehr als 100 Jahre ist die Stadtvilla von Familie Bähne alt.

Mehr als 100 Jahre alt und Baustil-typisch für die damals prosperierende Industrieregion: die Stadtvilla von Familie Bähne in Schwerte.
Quelle: Vaillant
Mehr als 100 Jahre alt und Baustil-typisch für die damals prosperierende Industrieregion: die Stadtvilla von Familie Bähne in Schwerte.

Trotz einer Heizlast von 20 kW kann das markante Gebäude aber ohne Zusatzdämmung hocheffizient über eine Luft/Wasser-Wärmepumpe versorgt werden. Auch, weil sich der ausführende Fachhandwerker Tim Berkenkopf die üppig dimensionierte Hydraulik zunutze machte – und das zur Abdeckung der Spitzenlasten sicherheitshalber zusätzlich installierte Gas-Brennwertgerät eigentlich gar nicht gebraucht hätte.

Als sich ein namhafter Unternehmer im westfälischen Schwerte Anfang des vorigen Jahrhunderts sein Stadthaus im Stil des damals besonders angesagten Funktionalismus bauen ließ, ist „Energie“ das alles beherrschende Thema. Am Rande des Ruhrgebietes mit seinen vermeintlich endlosen Flözen gelegen, deren Kohle in den riesigen Stahlwerken von Dortmund-Hörde mit ihren qualmenden Schloten in unglaublichen Mengen gebraucht wird, erlebt die Region nach dem 1. Weltkrieg einen beispiellosen Aufschwung: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden dort mehr als 50 Prozent der Kohle des gesamten kontinentalen Westeuropas (Deutschland ohne Oberschlesien, Frankreich, Belgien und Niederlande) gefördert; der Anteil an der gesamten deutschen Kohlenförderung betrug in den 1920/30er-Jahren bis zu 76 Prozent (Quelle: Landschaftsverband Westfalen-Lippe).

Heute, gut 100 Jahre später, ist „Energie“ in der rund 320 m2 großen Villa wieder das zentrale Thema. Denn die neuen Besitzer, ebenfalls eine angestammte Unternehmerfamilie aus dem Ort, hat behutsam damit begonnen, das Gebäude an zeitgemäße Wohnbedürfnisse anzupassen – aber ohne den prägenden Charakter des Hauses zu verändern. Böden, Wände und die großzügige Treppenanlage aufarbeiten – ist schon gemacht. Die Fenster austauschen – geschieht nach und nach. Das neue Bad – ist in der Planung.

Die Fassade aus Gründen der Energieeinsparung von außen dämmen – „auf gar keinen Fall“, wehrt Katharina Bähne (Anm. d. Red.: Name geändert) im Gespräch ebenso direkt wie deutlich ab: „Zum einen würde das nicht zum Charakter des Hauses passen; beispielsweise bei den markanten Bogenfenstern, die die Fassade zur Straßenseite hin prägen. Gleiches gilt für die Auslucht zum Garten. Zum anderen wurde der gesamte Straßenzug im selben Baustil errichtet; ein gut erhaltenes architektonisches Ensemble, das aus unserer Sicht als ein wertvolles Zeugnis Schwerter Stadtgeschichte unbedingt erhalten bleiben sollte.“

Hohe helle Räumlichkeiten vermitteln in dem Altbau ein ganz spezielles Ambiente und ein Gefühl von Großzügigkeit. Entsprechend üppig sind die Guss-Heizkörper dimensioniert, um die Räume auch im Winter hinreichend mit Wärme zu versorgen.
Quelle: Vaillant
Hohe helle Räumlichkeiten vermitteln in dem Altbau ein ganz spezielles Ambiente und ein Gefühl von Großzügigkeit. Entsprechend üppig sind die Guss-Heizkörper dimensioniert, um die Räume auch im Winter hinreichend mit Wärme zu versorgen.

Wärmeverteilung nicht angetastet

Was aber nichts an dem grundlegenden Sachverhalt änderte, dass bei der Wärmeerzeugung unbedingt etwas getan werden musste. Denn die vorhandene Zentralheizung (25 kW Leistung) war über zwei Jahrzehnte alt, entsprechend störanfällig, und „vernichtete“ aufgrund einer defekten Regelung mittlerweile 40.000 bis 60.000 kWh Gas pro Jahr. „Das war angesichts der massiv gestiegenen Gaspreise ebenso wenig vertretbar wie unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit“, schüttelt es Bähne noch heute.

Die alte Niedertemperaturheizung schlichtweg durch eine neue Brennwertanlage mit intakter Regelung zu ersetzen, kam für die als Einzelhändler schon von Berufs wegen scharf kalkulierende Hausbesitzerfamilie nicht infrage. Nochmals Bähne: „Als wir die Entscheidung fällen mussten, hatte der Ukraine-Konflikt schon deutlich gezeigt, wie unberechenbar der weltweite Gasmarkt ist. Außerdem wäre uns eine neue Gasheizung nicht nachhaltig genug gewesen. Nachdem wir uns entsprechend informiert hatten, war klar: Stattdessen sollte es eine Wärmepumpe sein.“ Dass die Umsetzung allerdings für einen Neubau leichter beworben als im Altbau realisiert ist, stand dabei auf einem anderen Blatt.

Heizungsbaumeister Tim Berkenkopf, Inhaber des gleichnamigen SHK-Fachbetriebes aus Schwerte, kennt das aus langjähriger Erfahrung: „Vor allem bei so außergewöhnlichen Bestandsobjekten wie dieser Villa muss man sehr genau hinschauen, wie viel Sinn eine Wärmepumpe unter technischen wie wirtschaftlichen Gesichtspunkten macht. Denn hier musste bei der Auslegung nicht nur die überdurchschnittlich große, ungedämmte Hüllfläche des zweigeschossigen Hauses berücksichtigt werden, sondern wir waren auch durch die Wärmeverteilung limitiert; Stichwort: die für die Effizienz von Wärmepumpen wichtige niedrige Vorlauftemperatur.“

Im Hause Bähne aber fand der Heizungsbauer typischerweise nur einen großzügig dimensionierten Heizkreis vor, der als Schwerkraftanlage mit einer Vorlauftemperatur von deutlich mehr als 70 °C über beide Stockwerke hinweg die Radiatoren mit Energie versorgte. „Viel hilft viel, so war die Auslegung früher eben“, lacht Berkenkopf noch heute über dieses wahrlich nicht mehr zeitgemäße Wärmemodell.

Aber: In diesem Fall hatte es auch etwas Gutes. Und zwar die in reicher Zahl vorhandenen, zudem ausgesprochen großzügig dimensionierten Gussradiatoren in nahezu allen Räumen. Die sehen in ihrem Original-Retro-Design nicht nur schick aus. Sie bringen zugleich genug Masse und Übertragerfläche mit, um von der Luft/Wasser-Wärmepumpe „aroTHERM plus“ mit nur noch maximal 55 °C Vorlauftemperatur bedient zu werden – und die Räume selbst an kälteren Wintertagen ohne Einsatz des Spitzenlastkessels komfortabel zu beheizen.

Signal für eine im wahrsten Sinne des Wortes „grüne Zukunft“: die „aroTHERM plus“ Luft/Wasser-Wärmepumpe vor dem Wohnhaus von Familie Bähne, die dadurch immer wieder von Nachbarn auf die nachhaltige Wärmetechnik angesprochen wird.
Quelle: Vaillant
Signal für eine im wahrsten Sinne des Wortes „grüne Zukunft“: die „aroTHERM plus“ Luft/Wasser-Wärmepumpe vor dem Wohnhaus von Familie Bähne, die dadurch immer wieder von Nachbarn auf die nachhaltige Wärmetechnik angesprochen wird.
Völlig unspektakulär, aber hocheffizient: Blick in den Heizungskeller des Hauses Bähne mit 200-Liter-Pufferspeicher und dem wandhängenden Gas-Brennwertgerät „ecoTEC plus“.
Quelle: Vaillant
Völlig unspektakulär, aber hocheffizient: Blick in den Heizungskeller des Hauses Bähne mit 200-Liter-Pufferspeicher und dem wandhängenden Gas-Brennwertgerät „ecoTEC plus“.

Erfahrung macht viel aus

Berkenkopf: „Es braucht sicherlich viel Erfahrung und Selbstbewusstsein, solch eine Wärmeverteilung ohne Umbauten mit einer Wärmepumpe als primäre Wärmequelle zu akzeptieren. Nach der Bestandsaufnahme war ich aber sicher, dass es in Kombination mit einer Luft/Wasser-Wärmepumpe mit nur 9,5 kW Leistung bei Norm-Außentemperatur funktionieren kann, wenn ich mir die außergewöhnliche Hydraulik zunutze mache.“ Das heißt, sowohl das riesige Umlaufwasservolumen von rund 2.000 Litern als auch ein neu installierter 200-Liter-Heizungspufferspeicher („Das ist meine hydraulische Weiche in groß!“) dienen Berkenkopf als willkommener Energiespeicher, um den hocheffizienten Wärmepumpenbetrieb – dank sehr langer Laufzeiten – sicherzustellen.

Wie effizient das Gesamtsystem in der Praxis funktioniert, konnte nach einem Jahr Betriebszeit am Systemregler „sensoCOMFORT VRC 720“, am Gasmengenzähler für den Spitzenlastkessel, vor allem aber an den Stromzählern abgelesen werden: Über 47.600 kWh Wärme bei nur 9.017 kWh Antriebsstrom für die Wärmepumpe ergibt eine Jahresarbeitszahl (JAZ) von bemerkenswerten 5,2 für den reinen Heizbetrieb! Also sogar deutlich mehr, als selbst Berkenkopf erwartet hatte: „Ich bin ursprünglich von einer Jahresarbeitszahl von etwa 4,5 ausgegangen.“

Dass trotz alledem im Hause Bähne noch ein 20 kW Spitzenlastkessel „ecoTEC plus“ zusätzlich installiert wurde, war im Übrigen nicht dem Wärmekonzept für das Gebäude, sondern allein der damaligen Marktsituation geschuldet: Die Heizungserneuerung war kurzfristig notwendig, bei Wärmepumpen aber gab es Lieferzeiten. Also wurde der Gas-Brennwertkessel auf die Heizlast des Gebäudes ausgelegt – und ist jetzt eigentlich überflüssig; springt nur noch an, wenn die Außentemperatur unter etwa -2 °C absinkt. Hinzu kommt, dass die Trinkwassererwärmung künftig generell dezentral erfolgen soll, plant Bähne: „Durch die schrittweise Sanierung des Hauses ist das mit viel weniger Aufwand verbunden, als nachträglich nochmal komplett neue Verrohrungen durch die Räume zu führen.“

Das ist praktisch gedacht und wird von Berkenkopf fachlich weiter hinterfüttert: „Im Gegensatz zur Heizlast ist der Bedarf an Trinkwasser warm in diesem Haus vergleichsweise gering. Bei einer Bewertung der Systemeffizienz wären also die Bereitstellungs- und Verteilverluste überdurchschnittlich hoch. Das würde das Gesamtsystem »in Unruhe bringen« und sich zwangsläufig auf die Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe auswirken. Die dezentral-elektrische Trinkwassererwärmung ist also wirtschaftlicher und nachhaltiger zugleich.“

Freut sich über eine so nicht erwartet hohe Jahresarbeitszahl (JAZ) der Wärmepumpe: Heizungsbaumeister Tim Berkenkopf (li.); hier mit Vaillant Verkaufsberater Thomas-Friedrich Wegmann.
Quelle: Vaillant
Freut sich über eine so nicht erwartet hohe Jahresarbeitszahl (JAZ) der Wärmepumpe: Heizungsbaumeister Tim Berkenkopf (li.); hier mit Vaillant Verkaufsberater Thomas-Friedrich Wegmann.

Immer das Gesamtsystem sehen

„An der Detailfrage zur Warmwasserbereitung wird zugleich nochmals deutlich, wie wichtig beim Einsatz einer Wärmepumpe in einem Bestandsgebäude immer die ganzheitliche Betrachtung des Wärmesystems ist“, unterstreicht in diesem Zusammenhang Vaillant-Verkaufsberater Thomas-Friedrich Wegmann, der gemeinsam mit Berkenkopf das Wärmekonzept für das Projekt „Bähne“ in Schwerte ausarbeitete: „Vor der Entscheidung, ob beim Heizungstausch nur eine Wärmepumpe oder wie hier ein Hybridsystem installiert wird und welche Speicher in der Peripherie notwendig sind, muss man zunächst das hydraulische System der bestehenden Wärmeverteilung verstehen. Wie ist die Wärmeverteilung aufgebaut, über welche Umlaufvolumina sprechen wir, wie sieht das Nutzerprofil aus, welchen Anteil hat die Warmwasserbereitung am Energieaufwand – all das sind Fragen, die erst beantwortet werden sollten, bevor sich eine wirklich zufriedenstellende, kundenspezifische Wärmelösung entwickeln lässt.“

Dass sich dieser Aufwand vor Beginn der Auslegung auszahlt, hat Berkenkopf in Schwerte unter Beweis gestellt. Was Bähne so freut, dass sie künftig auch den Antriebsstrom für die Wärmepumpe regenerativ über eine PV-Anlage selbst erzeugen möchte: „Das war ursprünglich zwar nicht vorgesehen. Mit der Wärmepumpe haben wir aber einen begeisternden Einstieg in die nachhaltige Wärmeerzeugung geschafft, den wir jetzt entsprechend fortsetzen möchten.“

Und vielleicht wird daraus, wie vor mehr als 100 Jahren, ja auch wieder ein „Energiethema“ für die ganze Siedlung, weil die Signalwirkung der ersten Wärmepumpenlösung in der Straße ausgesprochen hoch ist: „Immer wieder werden wir von den Nachbarn angesprochen, ob und wie das mit der Luft/Wasser-Wärmepumpe bei uns funktioniert“, so Bähne. „Es dürfte also definitiv nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch weitere Häuser auf diese ressourcenschonende Variante der Wärmeerzeugung umgerüstet werden.“

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