Kälteschein für alle Wärmepumpen-Typen?

Einsatz von Fluor in Kältemitteln in der Diskussion

PFAS: Lizenz zum Entsorgen. Das dürfte der Kompromiss sein, um einerseits das Klima zu retten und andererseits die Gesundheit zu schützen.

PFAS – die Abkürzung für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen mit F für Fluor – ist eine Verbindung in den üblichen Kältemitteln. Sie steht schon länger im Verdacht, Menschen krank zu machen. Die andauernde Corona-Pandemie verschärft jetzt das Thema. Doch ohne Kältemittel keine Wärmepumpen, ohne Wärmepumpen keine Wärmewende. Wie sollten Branche und Politik darauf reagieren?

Für Thomas Nowak, Generalsekretär des Europäischen Wärmepumpenverbands EHPA, gehören zu einer Befreiung aus dieser Zwangslage kurzfristig eine Verschärfung der Vorschriften für den Umgang mit fluorhaltigen Kältemitteln und langfristig deren Ablösung in erster Linie durch natürliche Fluide – sollte die Chemie nicht etwas ganz Neues entwickeln. Auf dem 19. Forum Wärmepumpe in Berlin Ende November vergangenen Jahres trug der Brüssel-Vertreter der Industrie die im Gespräch befindlichen EU-Absichten vor. Der Umwelt- und Gesundheitsschutz ist auf eine Chemikalie mit dem Kürzel PFAS aufmerksam geworden. Die Buchstabenfolge steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Das Substrat setzt die Industrie wegen seiner wasser-, fett- und schmutzabweisenden Funktion in vielen Anwendungen ein. So sind Haushaltsartikel oft mit den Alkylen beschichtet genauso wie wasserabweisende Outdoor-Textilien, Teppiche und vieles andere. Der Verbraucher weiß mit der Bezeichnung PFAS allerdings wenig bis nichts anzufangen – dafür aber umso mehr mit „Teflon“ und „Goretex“.

Insgesamt spricht die Literatur von etwa 4.700 verschiedenen Verbindungen dieser Art, von deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt man noch nicht allzu viel weiß. Einiges schon, zum Beispiel kennt man ihre große Beständigkeit und ihre Mobilität. Die PFAS verteilen sich mithilfe des Windes und des Wassers über den ganzen Globus und reichern sich in Flüssen und Seen, in Böden und Lebewesen an. Und es liegen weitgehend gesicherte Erkenntnisse vor, dass Aufkonzentrationen in menschlichen Organen die Wirkung von Impfungen vermindern und die eines Infekts erhöhen oder erhöhen können. Die Ampel-Koalition hat sich dazu bereits gemeldet. Sie will sich wesentlich in die breite Chemikalienstrategie einbringen und hat speziell Einschränkungen von per- und polyfluorierten Chemikalien schon im Programm. Deshalb die verstärkte Unruhe in der Branche. Schlagzeilen, wie „Teflon, das versteckte Gift in Ihrer Bratpfanne“, ziehen weite Kreise.

Teflon und R 134a treffen Biontech

Klinische Studien bewerten bis dato das Risiko als nicht sehr hoch. Nur fokussieren die sich auf die üblichen Impfungen gegen Diphterie, Keuchhusten, Tetanus und Influenza. Zu der aktuell spannendsten Frage fehlt noch die Antwort: Beeinflusst die PFAS-Exposition die Schwere einer Covid-19-Erkrankung und die Wirksamkeit von Biontech, Moderna und anderer Vakzine? Das Thema beschäftigt jetzt die Wissenschaft weltweit. Da es wohl noch einige Zeit dauert, bis Ergebnisse vorliegen, beugen die Gesundheits- und Umweltbehörden vor. „Im Sinne einer sicheren Chemie gehören diese Chemikalien auf den Prüfstand“, fordert Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts. „Die PFAS-Chemie hat für mich wenig Zukunft. Nur Erzeugnisse und Materialien, die etwas für den Gesundheitsschutz leisten, wie etwa medizinische Geräte oder Schutzkleidung für Feuerwehren, sollten die Verbindungen weiter nutzen dürfen.“

Das UBA arbeitet deshalb mit weiteren Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen an einem EU-weiten Verbot der Stoffgruppe beziehungsweise an einem Erlass, der die Verwendung zumindest einschränkt. Nun dürfte nicht der ganze Stamm von 4.700 Varianten gesundheitlich bedenklich sein. Doch mangelt es (noch) an dem Filter, der die harmlosen Moleküle aussortiert. Beziehungsweise das, was heute harmlos ist, kann sich im Lauf der Jahre und Jahrzehnte zu PFAS zersetzen. Deshalb müssen sich auch Klimaanlagen und Wärmepumpen auf eine Begrenzung ihrer Kältemittel vorbereiten. Das F in PFAS steht nun mal für Fluor. Und dieses Element ist ein Hauptbestandteil der FKW-, HFKW- und HFO-Fluide. Fluor ersetzt den Wasserstoff in den FKW vollständig, in den HFKW zum Teil.

Kein Blick in die Glaskugel

Wie ist nun der Stand der Dinge? Ungewiss. Auf dem 19. Forum Wärmepumpe schilderte Thomas Nowak die Situation. Der EHPA-Generalsekretär ersetzte in seinen Einführungssätzen das Adjektiv „ungewiss“ durch „Glaskugel“: „Die habe ich nicht bei mir. Ich kann nicht hineinschauen. Tatsächlich ist das Thema mit so vielen Meinungen durchzogen, dass ich mir nicht zutraue, es umfassend zu behandeln. Meine Botschaft, die ich aus Brüssel mitbringe, ist die, dass es eine wunderbare Zukunft für die Wärmepumpe gibt, nur bedarf es noch einer »Coming-of-age«-Geschichte, bis sie sich fest etabliert hat. Das ist die Reihe von Abenteuern, die der junge Held bestehen muss, bevor das Königreich oder die Liebste sein ist.“

Nowak gibt einen Marktausblick: „Die Klimaneutralität setzt nach Schätzungen voraus, dass bis 2050 etwa 1,8 Mrd. Wärmepumpen weltweit verbaut sein sollten. Wenn man uns allerdings keine Kältemittel gibt, wird das nicht passieren. Auch auf der europäischen Ebene werden wir nicht weiterkommen. Die Sektor-Integrationsstrategie hat zum Ziel, bis 2030 etwa 40 Prozent aller Wohngebäude und 65 Prozent aller kommerziellen Gebäude effizient elektrisch zu beheizen. Wir sprechen also von etwa 50 Mio. Wärmepumpen bis 2030 europaweit. Die Politik ist gefordert. Die Alternative zur Wärmepumpe für dekarbonisiertes Heizen ist praktisch nicht existent beziehungsweise sie lässt sich nicht in der gleichen Menge ausrollen. Das heißt, wir stehen am Anfang einer sehr steilen Wachstumskurve.“

Kollisionen vorprogrammiert

„Nur, Berlin, Brüssel – wir haben ein Problem. Nämlich dann, wenn die Kältemittel nicht da sind. Die positive Rezeption, der steile Anstieg der Nachfragekurve, trifft auf einen sehr stark regulierten Sektor: Gebäudevorschriften, Schallschutz, Datenschutz – was darf in die Cloud hinein, was nicht –, wir haben hier unsere Hausaufgaben gemacht. Wenn jetzt allerdings die Kältemittel hinzukommen, wird es für die Wärmepumpe schwierig werden. Wir brauchen Zeit. Von den HFC-Kältemitteln, den Fluorkohlenwasserstoffen mit relativ hohem GWP und ODP (Anm. d. Red.: Treibhaus- und Ozonabbaupotential), zu den Kältemitteln der vierten Generation, den HFO (Fluorolefinwasserstoffe) mit nur geringer Umweltbelastung, hat es etwa 15 Jahre gedauert. Die neuen Kältemittel verlangten wegen ihrer spezifischen Eigenschaften neue Komponenten für Wärmepumpen und Klimaanlagen. Und die standen nicht zur Verfügung. Wir waren auch nicht vorbereitet. Heute überblicken wir die Situation besser. Wir werden Kältemittel mit niedrigem GWP forcieren. Dabei wird es allerdings zu Kollisionen kommen, etwa zwischen den Gebäudestandards und dem Umweltschutz. Bei den natürlichen Fluiden mit niedrigem GWP handelt es sich ja in der Regel um entflammbare Kältemittel, gleichgültig ob schwer oder leicht entflammbar. Dafür brauchen wir Gebäudevorgaben, die die Verwendung erlauben“, betont Thomas Nowak und ergänzt: „Kann es zu Verboten kommen? Ja, kann es. Und zwar immer dann, wenn die Politik zu der Auffassung kommt, dass man bestimmte Kältemittel eben gar nicht braucht, weil Alternativen verfügbar sind und die Industrie das auch signalisiert. Deshalb kann ich die Industrie wirklich nur dazu aufrufen, Kompetenz für Wärmepumpen mit brennbaren Kältemitteln aufzubauen. Wer diese Kompetenz nicht hat, wird sich im zukünftigen Markt schwertun.“

REACH- vs. F-Gase-Verordnung

Der EHPA-Generalsekretär erläutert weitere Details: „Was liegt bei den Kältemitteln an Arbeit vor uns? Zwei The-men. Das erste Thema ist die Kältemittelverordnung. Dort geht es im Wesentlichen um den GWP-Wert. Die F-Gase-Verordnung sieht vor, die Höchstmenge für das Inverkehrbringen von HFKW von 100 Prozent im Jahr 2015 auf 21 Prozent im Jahr 2030 zu senken. Wenn wir uns den Sektor anschauen, den wir vertreten, den Wärmepumpensektor, hätten wir damit überhaupt kein Problem, wenn das das einzige Thema wäre. Weder technisch noch mengenmäßig. Wir hätten Planungssicherheit. Doch nun kommen als zweites Thema die PFAS in die Diskussion hinein. Die Gesundheitsbedenken für diese Substanzen haben Deutschland, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Dänemark vorgebracht. Diese fünf Länder sehen das so dramatisch, dass sie fordern, diese Verbindung nicht mehr abzugeben. Es ist nicht zu erkennen, dass wir als Industrie das sinnvoll verhindern könnten. Das Einzige, das wir tun können, ist, einen entsprechenden Vorschlag zur Nutzungsbegrenzung für die Europäische REACH-Verordnung auszuarbeiten. REACH hebelt die F-Gase-Verordnung aus. Was tun wir? Wir arbeiten intensiv und parallel bei beiden Themen mit. Ein Verbot würde uns natürlich dramatisch die Suppe versalzen. Unsere Aus-sage gegenüber der Politik ist die: Es geht uns nicht um ein einziges Kältemittel. Wir können zustimmen, dass es Verbote für sehr spezifische Produkte gibt. Auch wir wollen ein größeres Ziel erreichen. Nahziel ist selbstverständlich, die Kältemittelversorgung sicherzustellen. Das höhere Ziel ist, der Politik deutlich zu machen, dass die Wärmepumpenverbreitung auf ein Niveau, das der Klimaschutz für 2030 und 2050 vorgibt, ohne die heute verfügbaren Kältemittel kaum zu schaffen ist.“

Wärmepumpen-Fachhandwerk gefordert

Das Fachhandwerk fordert konkret folgende Passage von Thomas Nowaks Darstellung der Probleme heraus: Sie läuft letztlich auf einen Kälteschein für sämtliche Wärmepumpensysteme hinaus, gleichgültig ob Split- oder Monoblock-Anlagen, solange auf Fluor noch nicht verzichtet werden kann.

„Die Politik sieht sich ja ebenfalls in der Zwangslage: Wärmepumpen ja, PFAS nein. Wir müssen ihr deshalb etwas anbieten, sie mithin davon überzeugen, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, das Kältemittel dort zu halten, wo es seinen Nutzen entfaltet. Und das ist eben in der Maschine, also in der Wärmepumpe. Das bedeutet: Wir müssen erstens die Leckage bei der Produktion im Griff haben. Wenn man sich die Fertigung in den Unternehmen anschaut, haben wir diesen Punkt im Griff. Wir müssen zweitens im Reparaturfall vernünftig evakuieren und dokumentieren, welche Mengen wir nachgefüllt haben. Wir müssen drittens, und das ist wahrscheinlich die kritischste Stelle im ganzen Prozess, die Entsorgung der Geräte umweltgerecht gewährleisten. Sind die Installateure ausreichend geschult, um das Kältemittel in der Recyclingkette zu halten beziehungsweise um es zumindest umweltgerecht zu entsorgen, anstatt es einfach in die Atmosphäre abzublasen? Also: Wir müssen den Gesetzgeber mit Aktivitäten für die Leckage-Prävention, für die Rückgewinnung, für die Kreislaufführung von Kältemitteln überzeugen. Dazu gehört eine Zertifizierungsstrategie. Wir brauchen mehr Installateure, die dieses Thema beherrschen“, unter-streicht Nowak und gibt des Weiteren zu bedenken: „Von den Politikern erwarten wir, dass sie uns Zeit geben für diese Adaptierung. Ich denke an einen Zeitraum bis 2030, folglich zumindest neun Jahre. Wahrscheinlich sollten es aber eher zwölf oder 15 Jahre sein. GWP-seitig sind wir bereits von einem Kältemittelwert oberhalb von 2.000 auf heute unter 1.000 angekommen. Bis 2030 werden wir es bis unterhalb der anvisierten 750 schaffen. Dort wird aber nicht Schluss sein. Der Druck auf die Industrie wird weitergehen, zu einem GWP von 3 oder 6.“

Freitag, 25.03.2022