Flexible KWK

– aber wie?

Es ist mittlerweile unstrittig, dass Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen) zunehmend flexibel betrieben werden müssen. Nur so kann es gelingen, die Anlagen optimal in das elektrische Energiesystem einzubinden, beispielsweise zur Deckung der Residuallast oder zur Unterstützung der Verteilnetze, und damit zur Umsetzung der Energiewende beizutragen. Auch der Gesetzgeber fordert den flexiblen Betrieb durch die Absenkung der förderfähigen Betriebsstunden im KWK-Gesetz ein. Um vor diesem Hintergrund jedoch parallel die Deckung des erforderlichen Wärmebedarfs unter Gewährleistung der hohen Effizienz der KWK sicherzustellen, ist eine intelligente Steuerung der Geräte erforderlich. Zu diesem Zweck ist an der Hochschule Reutlingen ein vorausschauender Steuerungsalgorithmus zum „stromoptimierten“ und „netzdienlichen“ Betrieb von KWK-Anlagen bei voller Nutzung der KWK-Wärme als Alternative zum standardmäßig anzutreffenden wärmegeführten Betrieb entwickelt worden.

Wenn aktuell von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) die Rede ist, dann häufig in Verbindung mit den Begriffen „flexibler“ oder „netzdienlicher“ Betrieb. Gemeint ist damit die Fähigkeit der KWK, sich bedarfsgerecht an die Erfordernisse im Energiesystem anzupassen und damit insbesondere bei der Stromerzeugung im Zusammenspiel mit PV- und Windkraft-Anlagen die notwendige Deckung der Residuallast und so die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass die in der KWK-Anlage erzeugte Wärme nach wie vor vollständig genutzt wird, um den Effizienzvorteil gegenüber der konventionellen Reststromerzeugung zu bewahren. Aus diesem Grund müssen zwei Voraussetzungen für den flexiblen Betrieb von KWK-Anlagen wie folgt gegeben sein:

Zunächst ist ein Energiespeicher erforderlich, um die gekoppelt erzeugten Mengen an Wärme und elektrischer Energie mit den jeweils unterschiedlichen Bedarfsprofilen in Einklang zu bringen. Hier bietet es sich an, den zur Vermeidung des Taktbetriebs ohnehin in KWK-Anlagen verbauten Pufferspeicher zu nutzen. Auf diese Weise kann das KWK-Gerät beispielsweise anlaufen, um eine elektrische Lastspitze bzw. einen hohen Strombedarf zu decken oder einen Engpass im Verteilnetz auszugleichen, auch wenn zu diesem Zeitpunkt kein oder nur ein geringer Wärmebedarf vorliegt. Die erzeugte Wärmemenge wird in den Pufferspeicher eingebracht und steht damit zu einem späteren Zeitpunkt als Nutzwärme zur Verfügung. Ebenso kann das KWK-Gerät bei Vorliegen eines Wärmebedarfs auch ausgeschaltet bleiben, weil der KWK-Strom aktuell zum Beispiel aufgrund von hoher PV-Stromerzeugung nicht benötigt wird. Der Wärmebedarf wird zu diesen Zeiten aus dem Pufferspeicher gedeckt.

Die zweite Voraussetzung ist ein intelligenter Steuerungsalgorithmus, der den Betrieb des KWK-Gerätes nicht allein am Wärmebedarf ausrichtet, wie dies beim klassischen „wärmegeführten“ Betrieb der Fall ist, sondern zusätzlich die elektrische Residuallast oder den Netzzustand berücksichtigt. Während die Deckung der elektrischen Last beim wärmegeführten Betrieb rein zufällig erfolgt, sorgt der intelligente Steuerungsalgorithmus für eine bestmögliche Abstimmung des Betriebs der KWK-Anlage auf die stromseitigen Erfordernisse bei – wie zuvor angedeutet – vollständiger Nutzung der in der Anlage parallel erzeugten Wärme.

Ein entsprechender Steuerungsalgorithmus ist an der Hochschule Reutlingen im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten entwickelt und optimiert worden [1 bis 3]. Der Algorithmus arbeitet prognosebasiert und damit vorausschauend, das heißt, es werden sowohl die Entwicklung des Wärmebedarfs als auch der Stromlast oder des Netzzustandes über den Prognosehorizont einbezogen. Auf Basis dieser Daten ermittelt der Algorithmus unter Berücksichtigung weiterer gerätetechnischer Spezifika, wie den Mindestbetriebs- und -ruhezeiten des Gerätes und der Anzahl der Gerätestarts, einen optimalen Fahrplan. Dieser Fahrplan gewährleistet die bestmögliche Erfüllung der Zielgröße, die, je nach Anwendung, über die Deckung der Residuallast oder die Stützung des Verteilnetzes bei gleichzeitig vollständiger Wärmenutzung definiert ist. Die Funktionsweise des Algorithmus wird im Folgenden näher erläutert.

Funktionsweise des KWK-Steuerungsalgorithmus

In Abbildung 1 ist das bislang an einer Mikro-KWK-Anlage umgesetzte Funktionsprinzip der Steuerung schematisch dargestellt. Die Zielgröße dieser Anwendung stellt die Maximierung des selbst erzeugten und vor Ort genutzten KWK-Stroms, die sogenannte Eigenstromdeckung, dar. Die Implementierung an der realen Anlage kann dabei auf zwei unterschiedlichen Wegen erfolgen. Eine Möglichkeit besteht in der lokalen Ausführung des Algorithmus auf einer SPS, beispielsweise dem internen Steuergerät des KWK-Gerätes. Eine weitere Möglichkeit stellt die Bereitstellung des Algorithmus auf einem Webserver dar, sodass lediglich ein Datenaustausch zwischen KWK-Anlage und Algorithmus vorliegt. Eine lokale Umsetzung der bedarfsorientierten Steuerung entfällt damit; stattdessen steht dem Anwender eine flexibel über das Internet aufrufbare Serviceanwendung zur Verfügung.

Der vorausschauende Steuerungsalgorithmus erstellt auf Basis des für die nächsten z. B. 24 Stunden prognostizierten Strom- und Wärmebedarfs, des aktuellen Energieinhalts des Wärmespeichers und des aktuellen Betriebszustandes einen optimalen Fahrplan für den Betrieb des KWK-Gerätes über den Prognosehorizont. Die Berechnung des Energieinhalts im Wärmespeicher, der jeweils zum Zeitpunkt einer neuen Fahrplanerstellung ermittelt werden muss, erfolgt mithilfe der bereits vorhandenen Temperatursensoren am Pufferspeicher; für diesen Zweck werden demnach keine zusätzlichen Sensoren benötigt. Es sind lediglich Energiemengenzähler für Wärme und Strom erforderlich, da diese Werte für die Erstellung der Bedarfsprognosen benötigt werden. Bei einer ausreichend hohen Anzahl von Temperatursensoren am Pufferspeicher kann der Wärmebedarf auch indirekt über die Änderung der Speichertemperaturen bestimmt werden, so dass die Notwendigkeit eines Wärmemengenzählers nicht zwangsläufig besteht. Der vom Algorithmus generierte Fahrplan steuert anschließend das KWK-Gerät durch Ein- und Ausschaltbefehle. Die Anwendung auf modulierende Geräte ist ebenso möglich. Die Vorgabe des Modulationsgrades wird dabei an einem weiteren Parameter, zum Beispiel dem prognostizierten Strombedarf, ausgerichtet. Droht der Wärmespeicher unter- oder überladen zu werden, was beispielsweise durch einen von der Prognose abweichenden Wärmebedarf hervorgerufen werden kann, greift die interne Steuerung des KWK-Gerätes ein und schaltet das Gerät unabhängig vom Fahrplan ein bzw. aus. Auf diese Weise ist zum einen garantiert, dass die Wärmeversorgung immer gewährleistet ist, und zum anderen kann das KWK-Gerät durch den stromoptimierten Betrieb keinen Schaden beispielsweise durch Überhitzung nehmen. Die Sicherheitskette des KWK-Gerätes wird somit durch den Steuerungsalgorithmus nicht unterbrochen, sondern sie bleibt in ihrer Funktion unbeeinträchtigt.

Die Fahrplanoptimierung selbst basiert auf der sogenannten „Monte Carlo Methode“. Es handelt sich dabei um ein heuristisches Verfahren, bei dem eine hohe Zahl möglicher Fahrpläne für das KWK-Gerät per Zufall erzeugt und anhand einer Zielgröße bewertet wird, so dass anschließend der beste Fahrplan ausgewählt werden kann. Vorteil dieser Methode ist, dass sehr einfach unterschiedliche Zielfunktionen implementiert werden können, wodurch, wie eingangs angedeutet, neben der hier betrachteten Eigenstromdeckung auch die Deckung der Residuallast oder die Netzdienlichkeit optimiert werden können. Darüber hinaus eignet sich das Verfahren gut zur Einbindung von Nebenbedingungen. Auf diese Weise ist beispielsweise berücksichtigt, dass die Anzahl der Startvorgänge des KWK-Gerätes durch die Betriebsoptimierung nicht über Gebühr ansteigt. Ein weiterer Vorteil besteht in der sehr einfachen und damit stabilen und robusten mathematischen Behandlung der „Monte Carlo Methode“, die deshalb problemlos auf der Gerätesteuerung von KWK-Anlagen implementiert werden kann.

Betriebserfahrungen

Bei der Erprobung der Steuerung am Prüfstand der Hochschule (Abb. 2) hat sich in verschiedenen Tests bestätigt, dass der entwickelte Algorithmus in der Lage ist, das KWK-Gerät unter realistischen Bedingungen zuverlässig zu steuern. Dabei war der Betrieb der Anlage an real gemessenen Lastprofilen aus Wohngebäuden orientiert.

Die Vorteilhaftigkeit des stromoptimierten Betriebs ist in Abbildung 3 für zwei Tage beispielhaft veranschaulicht. Die rote Kurve gibt den tatsächlichen Stromverbrauch wieder, während die gelbe Kurve den vom Algorithmus prognostizierten Stromverbrauch abbildet. Wie sich zeigt, folgt der tatsächliche Betrieb des KWK-Gerätes (blaue Kurve) dem generierten Fahrplan (schwarz-gestrichelte Kurve) zuverlässig, wobei die Laufzeiten stets in Phasen mit hohem elektrischem Verbrauch liegen. Zum Vergleich ist zusätzlich der wärmegeführte Betrieb in Form der grünen Kurve dargestellt. Es ist zu erkennen, dass im wärmegeführten Betrieb Phasen mit hohem Stromverbrauch nur teilweise und rein zufällig abgedeckt werden, während der entwickelte Algorithmus die Betriebszeiten des KWK-Gerätes bewusst in die Phasen mit hohem Stromverbrauch verlagert.

Im Ergebnis konnte bei den durchgeführten Versuchen, die sich jeweils über drei Tage erstreckten, eine Steigerung der Eigenstromdeckung von 20 Prozent im Vergleich zum wärmegeführten Betrieb erreicht werden. Über eine Modellrechnung lässt sich ableiten, dass diese Steigerung bei elektrischen Lastprofilen mit ausgeprägten Stromspitzen sogar noch höher ausfällt; bei eher an der Grundlast orientierten Stromprofilen kann diese Steigerung hingegen auch geringer ausfallen [4]. Zusätzlich steht eine sogenannte Ad-hoc-Funktion zur Verfügung, die direkt auf den aktuellen Stromverbrauch oder auf den aktuellen Netzzustand reagiert und damit die Möglichkeit bietet, in der Strombedarfsprognose nicht erfasste elektrische Lastspitzen abzudecken, was zu einer weiteren Verbesserung der Ergebnisse führt. Im zuvor beschriebenen Fall konnte auf diese Weise eine Erhöhung der Eigenstromdeckung auf bis zu 27 Prozent erreicht werden.

Im Rahmen von Forschungsprojekten wird die Steuerung derzeit an zwei KWK-Anlagen eingesetzt und getestet. Bei einem Projekt handelt es sich um eine KWK-Anlage in einem Komplex aus sechs Mehrfamilienhäusern – hier ist das Ziel ebenfalls die Erhöhung der Eigenstromdeckung. In dem anderen Projekt wird der Algorithmus genutzt, um mit Hilfe eines Biogas-Blockheizkraftwerks (Biogas-BHKW) den externen Strombezug im vorgelagerten Netz zu minimieren.

Voraussetzungen für den Einsatz der Steuerung

Mit Blick auf die Hardware stellt die Implementierung der vorgestellten stromoptimierten Steuerung praktisch keinen Mehraufwand für die Hersteller von KWK-Geräten oder den Anlagenbetreiber dar. Abgesehen von Wärmemengenzählern und einem auslesbaren Stromzähler, die je nach Anlage bereits installiert sind, werden keine Zusatzkomponenten benötigt. Wie zuvor beschrieben, besteht alternativ zum Einsatz eines Wärmemengenzählers die Möglichkeit, den Wärmebedarf aus der Änderung der Temperaturen im Pufferspeicher der KWK-Anlage zu berechnen. Um diese Ergebnisse jedoch für eine zuverlässige Wärmelastprognose verwenden zu können, sind zumeist mehr als die standardmäßig zwei oder drei verbauten Temperaturfühler am Speicher erforderlich.

Softwaretechnisch ist der ursprünglich in „MATLAB“ erstellte Algorithmus zunächst in eine auf einer SPS umsetzbaren Version weiterentwickelt worden. Somit kann der Steuerungsalgorithmus direkt auf das interne Steuergerät eines KWK-Gerätes übertragen werden. Die spezifischen Randbedingungen des jeweiligen Gerätes werden im Rahmen von kleineren Anpassungen in die vorhandene Steuerungskonfiguration eingepflegt. Auf diese Weise ist eine individuelle Abstimmung der Software auf die Geräte und Anlagen möglich.

Wie bereits erwähnt, steht die vorausschauende Steuerung mittlerweile auch alternativ als webbasierte Serviceanwendung zu Verfügung. Zu diesem Zweck ist der Algorithmus in Verbindung mit einer Datenbank auf einem Webserver umgesetzt; ein entsprechender Webservice ermöglicht die Kommunikation zwischen KWK-Anlage und Algorithmus. Für einen Datentransfer bedarf es lediglich einer Abstimmung der Schnittstellen, so dass die für die Fahrplanerstellung notwendigen Daten sowie der Fahrplan selbst zwischen Algorithmus bzw. Datenbank und KWK-Anlage ausgetauscht werden können. Eine lokale Umsetzung des Algorithmus auf der Anlagensteuerung ist damit nicht mehr erforderlich. Diese webbasierte Variante kann entweder zentral verwaltet werden oder auch von den Anlagenherstellern betrieben und im Rahmen des Anlagenmonitorings über das Internet, das bei Neuanlagen mittlerweile Standard ist, als Zusatzservice angeboten werden. Damit bestehen verschiedene Möglichkeiten, den entwickelten Steuerungsalgorithmus einzusetzen und KWK-Geräte zukünftig nicht mehr rein wärmegeführt, sondern flexibel und optimal an einer Zielgröße ausgerichtet zu betreiben. Auf diese Weise kann letztendlich erreicht werden, die immer wieder beschriebene Systemdienlichkeit der KWK auch tatsächlich umzusetzen und der KWK ihren Platz im zukünftigen Energiesystem zu sichern.

Bei Interesse an Einsatz oder Übernahme des KWK-Steuerungsalgorithmus wenden Sie sich bitte per E-Mail an Prof. Dr.-Ing. Bernd Thomas: bernd.thomas@reutlingen-university.de

Weiterführende Literatur:

[1] Thomas, B., Toradmal, A.: „Intelligente Steuerung dezentraler Energieversorgungssysteme“, Ingenieurspiegel, Public Verlagsgesellschaft und Anzeigenagentur mbH, Bingen, Ausgabe 4, 2016, ISSN 1868-5919, S. 38-39

[2] Widmann, C., Lödige, D., Toradmal, A., Thomas, B.: „Enabling CHP units for electricity production on demand by smart management of the thermal energy storage”, Applied Thermal Engineering, 114 (2017), S. 1487-1497

[3] Haase, P.; Thomas, B.: „Test and optimization of a control algorithm for demand-oriented operation of CHP units using hardware-in-the-loop“, Applied Energy, Volume 294 (2021), 116974

[4] Thomas, B., Haase, P., Schneider, D.: „Einfluss des elektrischen Lastprofils: Stromoptimierter Betrieb von KWK-Anlagen“, BWK Energie., VDI Fachmedien, BD. 73 (2021) NR. 5-6, S. 34-37

Weiterführende Informationen: https://www.tec.reutlingen-university.de/forschung-industrie/forschung/rez-reutlinger-energiezentrum/

Freitag, 08.10.2021