Erneuerbare Energien

Nicht im Takt der Wolkenschleier

Gute Erfahrungen mit „10-Minuten-Regel“ und Wärmepumpen-Vorrang

Freitag, 26.11.2021

Grüne Insel Sankt Michaelisdonn – grün im grauen Meer fossiler Strom- und Wärmeerzeugung. Oben im Norden Norddeutschlands will ein genossenschaftliches Quartier belegen, dass eine nachhaltige Energieversorgung weder von den Investitions- noch von den Betriebskosten her zu Mehrbelastungen der Nutzer führen muss.

Foto: Das Außengerät der Wärmepumpe steht in einer Gebäudenische und schränkt so die Schallausbreitung ein.
Quelle: Genath
Das Außengerät der Luft/Wasser-Wärmepumpe steht in einer Gebäudenische und schränkt so die Schallausbreitung ein.

Große Veränderungen brachte das novellierte EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) 2021 nicht mit sich, wohl aber einige marginale. Zum Beispiel müssen KWK- und PV-Anlagen sowohl im Bestand als auch jüngst installierte mit einer Nettoleistung bis 30 kW und einer Stromerzeugung von maximal 30 MWh im Jahr im Fall von Eigenverbrauch keine EEG-Umlage bezahlen. Dieses Entgegenkommen galt in Teilen zwar schon früher und gilt mithin nach wie vor. Nur erweiterte es der Gesetzgeber von ehedem 10 auf 30 kW Leistung. Die genossenschaftliche Wohnungswirtschaft hatte indes gehofft, dass die Aktualisierung der verschiedenen Energiegesetze darüber hinaus ihre Liegenschaften wie privilegierte Eigentumswohnungen, also Eigenverbrauch, behandeln würde. Es blieb jedoch in § 61 beim alten Passus, dass Anlagenbetreiber und Stromverbraucher personenidentisch sein müssen, um von der Ausnahmeregelung zu profitieren. Ist also die Genossenschaft Eigentümerin der nachhaltigen Stromgeneratoren auf den Dächern der Genossenschaftshäuser, nicht aber der nutzende Genosse, entfällt die Vergünstigung. Immobilienverbände und Versorger drängen deshalb darauf, bei der nächsten Novellierung der zuständigen Gesetze anstelle von Eigenverbrauch Direktverbrauch zu setzen.

Direktverbrauch meint Strom, der im räumlichen Zusammenhang zur Erzeugung und ohne Durchleitung durch ein öffentliches Netz zu den Nutzern fließt. Das käme nicht nur Mietern (Mieterstrom), Genossenschaften, Landwirten und anderen Gruppierungen zugute, sondern ebenfalls der Bereitschaft zur angestrebten, dezentralen Strom- und Wärmeerzeugung. Gerade für den ländlichen Raum bieten sich kreative, wirtschaftliche Konzepte zur Dezentralität an. Landwirte, die beispielsweise eine Biogas- oder Photovoltaikanlage betreiben, versorgen tierhaltende Landwirte in räumlicher Nähe, die den Strom für ihre Ställe benötigen, oder schließen sich mit Nachbarn zusammen, um Elektrizität aus der Anlage gemeinsam zu nutzen.

Miteinander statt nebeneinander

Das Projekt „Grüne Insel“ in Sankt Michaelisdonn im nordseeseitigen Schleswig-Holstein – 20 km bis zum Meeresstrand – setzt auf das genossenschaftliche Miteinander und auf eine ökologische Energieversorgung. Kennzeichnende Stichworte des Mehr-Generationen-Quartiers: nachbarschaftliche Aktivitäten, gegenseitige Hilfe, Kunst- und Kulturaktivitäten, ökologische Ausrichtung, Barrierefreiheit, eine Infrastruktur mit Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, mit Einkaufsmöglichkeiten, mit Arzt und Apotheke. Zur Förderung des genossenschaftlichen und gesellschaftlichen Miteinanders steht auf dem Campus ein Gemeinschaftsgebäude für beispielsweise Veranstaltungen und Kochkurse. Ein Café soll aufgemacht werden, ein Buchclub und anderes. Im Gewächshaus nebenan gedeihen Obstbäume.

2019 begann der Bau von 38 barrierearmen und schwellenfreien Wohnungen in mehreren Häusern mit maximal zwei Geschossen. Die Kaltmiete beträgt wohnungsunabhängig 8,70 Euro pro Quadratmeter. Der Projektleiter, die WES energy GmbH, rechnet aufgrund der Einbindung von regenerativer Energie unter anderem aus PV-Anlagen auf jedem Dach und dem KfW-40-Standard mit geringen Nebenkosten. Die Leistung auf den einzelnen Häusern begrenzt sich auf 30 kW, in der Erwartung, eine reduzierte oder Null-EEG-Umlage in Anspruch nehmen zu können. Die Erwartung erfüllte sich nicht. Die Heizlast von 25 bis 27 kW je Gebäude (800 m2) decken Luft/Wasser-Wärmepumpen von Ochsner (Typ „Air 41“) in Verbindung mit Fußbodenheizungen. Ochsner und WES Energy wollen belegen, dass es durchaus möglich ist, quasi ausschließlich mit Sonnenstrom und Außenluft Wohnsiedlungen und größere Wohnungen zu beheizen.

Foto: Die Wärmepumpen unterstützen die Warmwasserbereitung. Mit im Bild: Andreas Laß, Ochsner-Gebietsverkaufsleiter Deutschland Nord.
Quelle: Genath
Die Wärmepumpen unterstützen die Warmwasserbereitung, indem sie die Durchlauferhitzer mit 30 oder 35 °C Vorlauf beliefern und eine elektrische Nachheizung noch einmal 20 °C draufpackt. Die Wärmepumpen bleiben damit im wirtschaftlichen Betriebspunkt. Im Bild: Andreas Laß, Ochsner-Gebietsverkaufsleiter Deutschland Nord.

Ganz ohne Spitzenlast-Gaskessel

Die Maschinen sind deshalb in der Lage, bei minus 20 °C noch 55 °C Vorlauftemperatur zu liefern. Technisch und ökologisch macht das aber keinen großen Sinn. Die Installationen schalten daher bei einem bestimmten Temperaturpunkt von Wärmepumpen- auf E-Heizstab-Betrieb um. Ein Gaskessel steht ihnen nicht zur Seite. Das Risiko hoher Stromkosten wegen der E-Heizstäbe hält sich im Küstenlandkreis Dithmarschen mit Sankt Michaelisdonn in Grenzen. Die vom Golfstrom beeinflussten Nordsee-Wassertemperaturen bleiben selbst im Februar zwei oder drei Grad über dem Gefrierpunkt, sodass, von Ausnahmen abgesehen, vor der Lufttemperatur im Winter selten ein Minuszeichen steht.

Die Gebäude hatten im Mai dieses Jahres eine Heizperiode hinter sich. Der COP pendelte sich, nach Angabe des Wärmepumpen-Herstellers, bei 7 °C Lufttemperatur auf 4,0 ein. Die Normleistung beträgt 37 kW bei den Verhältnissen A7/W35. Die Maschinen fahren im Ein/Aus-Betrieb. Nachbarschaftliche Klagen über einen zu hohen Geräuschpegel blieben, laut WES energy, bisher aus. Die „Technischen Daten“ des Anbieters geben den Pegel mit 47 dB(A) in 3 m Abstand an. Die Planer achteten zudem darauf, dass der Kondensator respektive Verdampfer dort aufgestellt wird, wo er nur im geringen Maße den Nachbarn schalltechnisch bestrahlt („Kondensator respektive Verdampfer“ deshalb, weil sich die Aggregate im Sommer auf Kühlbetrieb umschalten lassen).

Freie Kapazität abgefragt

Regelungstechnisch hat die Wärmepumpe Vorrang, wenn der Wechselrichter konstant über zehn Minuten ausreichend und stabil Strom liefert – vorher lohnt sich das Start-Prozedere nicht. Diese Programmierung steht auf der Grundannahme, dass sich dann der „blaue Himmel“ auch noch länger hält. Kurze Verschattungen der PV-Kollektoren greifen so nicht in den Betrieb ein. Nach zehn Minuten erkunden die Mikroprozessoren die Beladung des Puffers und temperieren ihn bei freier Kapazität via Wärmepumpe durch. In der Spanne bis zum Schaltpunkt steht der Strom den Hausgeräten zur Verfügung. Und natürlich auch dann, wenn die Wärmepumpe keinen Bedarf anmeldet, Überschuss fließt ins öffentliche Netz.

Die Wärmepumpen unterstützen des Weiteren die Warmwasserbereitung, indem sie die Durchlauferhitzer mit 30 oder 35 °C Vorlauf beliefern und eine elektrische Nachheizung noch einmal 20 °C draufpackt.

Foto: PV-Kollektoren auf den Dächern, was demnächst mit kleinen Windturbinen ergänzt werden soll.
Quelle: Genath
Die PV-Kollektoren auf den Dächern sollen demnächst mit kleinen Windturbinen ergänzt werden.

Zweiter Schritt geplant

In der im Frühjahr 2021 abgeschlossenen ersten Heizperiode lief alles nach Wunsch. Die Genossenschaft denkt deshalb bereits an einen zweiten Schritt. Wie gesagt, das Energiekonzept ist darauf ausgerichtet, die vorhandenen umgebenden Ressourcen – aktuell die Solarenergie – im Wärme- und Haushaltsbereich zu nutzen. Exakte Zahlen zu diesem oder jenem Detail hatte WES energy bei einer Pressefahrt des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP), an der das HeizungsJournal teilnahm, noch nicht parat. WES geht aber davon aus, dass derzeit etwa 50 Prozent des Stromverbrauchs der Wärmepumpen, der E-Ladesäulen und der Hausgeräte von den Dächern kommen. Mit dem Prozentsatz will sie sich nicht begnügen. Deshalb steht zur Diskussion, demnächst auch zwei Windräder im Quartier aufzustellen.

Das Windangebot an der deutschen Nordseeküste beträgt Onshore laut Statistischem Bundesamt 3.200 Volllaststunden. Die Volllaststunde errechnet sich aus dem Verhältnis von Energieertrag zur Nennleistung. Wegen der technologischen Verbesserungen hat in den letzten Jahren die Anzahl der Volllaststunden zugenommen – und der Trend hält an: Die Statistik erfasste für das Jahr 2000 eine Spanne von 1.200 bis 1.800 Stunden Onshore-Betrieb. Derzeit liegt das Mittel deutschlandweit bei 2.000 bis 2.500 Stunden und für den Standort Schleswig-Holstein sagen die Analysen 3.500 Stunden in den kommenden Jahren voraus. Die Wirkungsgradsteigerung könnte kleinere Windrotoren im Zusammenhang mit der schleswig-holsteinischen Abstandsregelung attraktiv machen. Denn das Bundesland plant eine Distanz zur Bebauung, die von der Höhe der Windkraftanlage abhängig ist. Kleinere Anlagen mit der Spitze des Rotorblatts von zum Beispiel 40 m über dem Boden und 100 kW können demzufolge bis zum Fünffachen, ergo bis 200 m, an ein Wohngebiet heranrücken. Ferner hat Schleswig-Holstein – wie auch andere Bundesländer – Sonderregelungen für die Aufständerung von Windturbinen auf Dächern erlassen. Die Untere Baubehörde hat indes ein Mitspracherecht. In Richtung Dachvariante geht in Sankt Michaelisdonn im Komplex „Grüne Insel“ die Planung.

Von Bernd Genath
Düsseldorf
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