Erneuerbare Energien

"Future Living" Berlin: Smartes Wohnen als realisierte Zukunft

Dienstag, 20.10.2020

In Berlin-Adlershof wird ein komplett über die drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität vernetztes, erneuerbares Energiekonzept realisiert.

Das Quartier
Quelle: GSW Sigmaringen
"Future Living" Berlin – das Projekt in der Vogelperspektive.

"Future Living" – zukünftiges Wohnen und Leben: An mehreren globalen Standorten investiert der japanische Elektronik- und Technologiekonzern Panasonic in nachhaltige Wohnlandschaften. Die Normalität von morgen besteht nach allgemeiner Ansicht in smarten Gebäuden und Quartieren für ein generationenübergreifendes Miteinander, das auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit ruht: umweltschonend, sozial, ökonomisch.

Für das Attribut "umweltschonend" stehen grüner Strom aus der PV-Anlage, elektrisches Heizen mit Luft/Wasser-Wärmepumpe, Batteriespeicher zum Entkoppeln von solarem Angebot und häuslichem Bedarf – in Berlin alles aus einer Hand von Panasonic – und eine Bauphysik, die dem Standard KfW-"40 Plus" entspricht. Bekanntlich dürfen KfW-40-Heimstätten nicht mehr als 40 Prozent des EnEV-Referenzgebäudes verbrauchen, um die entsprechende hohe Förderung von der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu erhalten. Das Plus-Paket für einen zusätzlichen Aufschlag enthält weitere Anforderungen, wie eben eine Strom erzeugende Anlage auf Basis erneuerbarer Energien, zum Beispiel PV, einen Stromspeicher, eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und anderes.

Mit den Anmerkungen zum deutschen Effizienzhaus-Standard KfW-"40 Plus" ist indirekt gesagt, dass deutsche Unternehmen bei "Future Living" mitmachen: Etwa die GSW Gesellschaft für Siedlungs- und Wohnungsbau Baden-Württemberg mbH, eine Immobilientochter des Sozialverbands VdK Baden-Württemberg e.V. Sie ist Bauherrin des Projekts "Future Living" Berlin. Die ersten Ideen des Modells für vernetzte Stadtquartiere entstanden 2013, quasi parallel zu den Panasonic-Entwürfen, an den Computern der GSW und der Unternehmensgruppe Krebs, Berlin, mit deren langjährigen Expertisen im Immobiliengeschäft. Den Anstoß gab die zunehmende Vernetzbarkeit von Produkten und Dienstleistungen für einzelne Wohnungen als auch Stadtquartiere.

Ein auf dieser Basis entwickeltes, alle Tagesabläufe umfassendes Wohnkonzept müsse zwangsläufig, so die Vorstellung, den Bewohnern mehr Komfort, Sicherheit und Zeitgewinn bringen und Jung und Alt, Singles und Familien unter einem gemeinsamen Dach zusammenführen. Diese Blickrichtung geht in Richtung der zweiten Säule der Nachhaltigkeit, der sozialen Komponente. Selbstverständlich sollte eine Erhöhung der Wohnqualität für das Gros der Bevölkerung bezahlbar, sprich: mietbar, bleiben müssen. Damit ist der dritte Baustein, die Baukosten bzw. die Wirtschaftlichkeit, angesprochen.

Das "Alexa"-Prinzip

"Future Living" Berlin zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die Wohnungen für die zukünftigen Bewohner vorkonfiguriert und bei Einzug voll funktionsfähig sind. Über eine zentrale App oder Sprache kann die Wohnung gesteuert, individualisiert und um weitere smarte Produkte erweitert werden. Die Vernetzung gestattet es unter anderem, allen Bewohnern einen einfachen Zugriff auf ein geschlossenes "Community Car Sharing" im Wohnquartier zu eröffnen. Selbstverständlich basiert dieses Carsharing auf E-Mobilität ("Smarts" von Mercedes-Benz) und ist mit seiner Ladestation in das ganzheitliche Energiekonzept mit Photovoltaikanlagen und Batteriespeichern eingebunden. Das Smartphone öffnet für einen gewählten Zeitraum zuvor gebuchte Fahrzeuge. Für Panasonic und GSW gibt Adlershof damit "konzeptionell und architektonisch Antworten auf einige der großen Herausforderungen unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel den demographischen Wandel, die Energiewende und das veränderte Mobilitätsverhalten, und ist durch seinen umfassenden Lösungsansatz einzigartig in Europa."

Ein Smart steht neben einer E-Ladestation.
Quelle: Mercedes-Benz
PV-Strom für das Carsharing mit "Smarts".

Die Akzeptanz der assistiven Technologien, sozusagen das "Alexa"-Prinzip, also smarte Schalter, Wohnungsmanager, Fahrstühle oder Geräte, die per Sprachsteuerung reagieren, beschränkt sich ja schon lange nicht mehr auf etwa Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Das Internet der Dinge (IoT = Internet of Things) zieht in immer mehr Haushalte ein. Doch spielt das Nutzerverhalten eine entscheidende Rolle, um die angepeilten Energieersparnisse und den erwünschten Autarkiegrad zu erzielen. Akzeptieren die Bewohner eine Art "Gebrauchsanweisung des Wohnens" oder verdrehen sie die Regler so, dass das gesamte System aus dem Ruder läuft?

Wo lohnt sich Digitalisierung?

Ein anderer Punkt: Die Haushalte müssen aus Effizienzgründen möglichst viel vor Ort erzeugte Energie nutzen. Im Quartier "Future Living" Berlin unterstützt sie dabei ein Wohnungsmanager, der auf einem Smart-TV installiert ist. Er zeigt unter anderem den Strom-, Wärme- und Wasserverbrauch für die einzelne Wohnung an, sodass sich die Bewohner in ihrem Verhalten daran orientieren können. Er gibt Alarm, wenn zu viel Technik eingeschaltet ist. Die Wohnungen sind außerdem mit Elektrogeräten hoher Effizienzklassen ausgestattet. Wie gesagt, gesteuert werden die Geräte über eine App, Sprache und intelligente Schalter. Das europäische Forschungs- und Entwicklungszentrum von Panasonic hat eine entsprechende Software entwickelt, die laut Ralf Becker, Leiter des Bereichs "Energielösungen" bei Panasonic R&D Europe, zu einer Effizienzsteigung von 15 Prozent führt.

Ein Mann steht vor einem Eingang und schaut auf sein Smartphone.
Quelle: Schindler
Für die vertikale Erschließung der Gebäude sorgen acht Aufzüge von Schindler, die über das Transitmanagementsystem "Port" gesteuert werden. Den Bewohnern des "Future Living"-Campus bietet die Digitalisierung hier weitere Funktionen: Haupteingangs- und Appartement-Türen sind vollständig in das System integriert. Über ein stationäres Terminal in der Wohnung oder eine App auf dem Smartphone können die Bewohner mit Besuchern am Eingang per Videochat kommunizieren. Mit einem Klick auf die "Einladungstaste" öffnen sie dem Gast die Tür und stellen zugleich den Aufzug bereit, der automatisch die richtige Etage anfährt.

Ganz vorne stehen auch die Fragen: Was lohnt sich, kommunikationsfähig zu digitalisieren? Wo besteht kein Bedarf? Darauf erwarten die Beteiligten ebenfalls eine Antwort aus dem Probebetrieb: In den nächsten drei Jahren will die GSW per Monitoring analysieren, ob und wie Menschen mit den angebotenen assistierenden Möglichkeiten umgehen. Nur ein Beispiel: Wird der gewohnte normale Schalter zum Einschalten des Lichts genutzt, der sich nach wie vor neben der Eingangstür befindet oder gewöhnen sich die Bewohner relativ rasch daran, die digitale Alternative zu nutzen? Es mangelt hierbei noch an Erkenntnissen. Die GSW denkt deshalb über Folgemodelle des Musters "Future Living" Berlin, nach Aussage eines ihrer Sprecher, erst nach, wenn die Ergebnisse des Monitorings vorliegen.

Verbesserte Solarzellen

Für Panasonic zählt das urbane Leuchtturmprojekt mit 90 Wohnungen in sieben Wohntürmen zu den Bausteinen seines globalen Smart City-Portfolios, dessen Gewicht auf der Nutzung nachhaltiger Energie, der Dekarbonisierung und der Inhouse-Vernetzung liegt. Nachhaltige Energie: Eine cloud-basierte Kommunikation erlaubt die Fernkontrolle und mit Abstrichen auch die Fernwartung der verschiedenen Installationen. Panasonic taufte diese Verbindung auf "Aquarea Service Cloud". Die Wartung betrifft vor allen Dingen die Luft/Wasser-Wärmepumpen des Herstellers. Die beziehen ihren Strom aus einem virtuellen Kraftwerk mit einer Spitzenleistung von knapp 200 kWp, zu dem die 600 Silicium-Module auf den Flachdächern der Gebäude zusammengeschlossen sind. Die Photovoltaik von Panasonic mit einer Zelltechnologie namens "Heterojunction" soll physikalischem und thermischem Druck besser standhalten als die üblichen Angebote. Unter anderem reduzieren sich in diesem Typ durch eine besondere Anordnung der Oberflächenelektroden, nach Angaben des Herstellers, die Widerstandsverluste. Der Zellwirkungsgrad soll dadurch auf fast 26 Prozent steigen und die Umwandlungseffizienz bei hohen Temperaturen konstant bleiben, was bei üblichen Modellen ein Manko ist. GSW hat sich unter anderem wegen dieses Vorteils für diese Typen entschieden, um aus der begrenzten Dachfläche das Maximale an elektrischer Leistung herauszuholen.

Der Komplex im Süden der Bundeshauptstadt will durch die Anordnung der einzelnen Häuser mit dazwischen entstehenden gemeinsamen Erlebnisräumen ebenfalls den räumlich-dörflichen Charakter und das soziale Miteinander fördern. Dörflich, nicht dörfisch: Die technologieorientierte Wohnanlage passt sich dem Niveau ihres Umfelds an. Sie befindet sich nämlich in Europas erfolgreichstem Wissenschaftspark, dem "Technologiepark Adlershof".

Ein entscheidender Baustein in Berlin stammt von der digitalstrom AG. Die Gesellschaft aus Schlieren nahe Zürich vernetzt digitale und analoge Technologien und Geräte in Gebäuden zu einer Smart Home-Lösung. Dazu bedarf es nicht eigener Leitungen mit Baumaßnahmen in den Wohnungen. Das Stromnetz (Powerline) genügt zur Datenübertragung. Selbst zu den Aufzügen: Der Liftebauer Schindler macht in Adlershof mit acht Aufzügen und dem Transitmanagementsystem "Port" mit – Haupteingangs- und Appartementtüren sind vollständig in das System integriert. Das stellt die Aufzüge bereit, öffnet und schließt Haus- und Wohnungstüren oder verriegelt sie selbstständig bei Verlassen der Wohnung.

90 Wohnungen

2017 startete mit dem ersten Spatenstich die bauliche Realisierung von "Future Living" Berlin und vor einigen Wochen bezogen die ersten Mieter ihre Quartiere. Insgesamt handelt es sich um 70 barrierefreie Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen mit Wohnflächen zwischen 37 und 139 m². Dazu kommen 20 Appartements in Boardinghäusern. Damit bezeichnet die Hotellerie den Beherbergungsbetrieb von Zimmern und Appartements mit begrenztem Service in meist städtischer Umgebung vornehmlich an Personen, die einen längeren Aufenthalt planen, etwa aus dienstlichen Gründen. Des Weiteren gehören zum Komplex zehn Gewerbeeinheiten. Die Projektentwicklung hatte die Unternehmensgruppe Krebs, die Generalplanung die Multiplan Bauplanungs GmbH inne, ein Berliner Architektur- und Planungsbüro, das sich vornehmlich auf Mehrfamilienhäuser sowie Industrie- und Gewerbebauten konzentriert.

Mit seinem integrierten Energiekonzept, bei dem die Mieterstromversorgung eine entscheidende Funktion einnimmt, ist das Quartier "Future Living" Berlin ein Leuchtturmprojekt für das künftige Wohnen in der Hauptstadt. Für den Mieterstrom ist im Energieliefer-Contracting die Polarstern GmbH, München, zuständig. Deren Angebot richtet sich in erster Linie an Wohnungseigentümergesellschaften und Betreiber von Wohnanlagen. Die Finanzierung der Anlagen – in Berlin: PV-Module, Stromspeicher und Wärmepumpen – übernimmt der Contractor Polarstern. Laut dem Münchener Dienstleister lohnt sich Contracting mit Mieterstrom in der Regel für große Neubau- und Bestandsimmobilien ab mindestens 20 Wohneinheiten.

Eine
Quelle: Panasonic
Der von den PV-Paneelen erzeugte Strom wird zum Antrieb von 17 Panasonic-"Aquarea"-Luft/Wasser-Wärmepumpen verwendet.

Von Bernd Genath
Düsseldorf
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Freitag, 25.08.2023

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