Erneuerbare Energien

Becker Robotic macht ehemaliges Kasernengelände nachhaltig

Dienstag, 17.03.2020

Ein Multi-Komponenten-System aus Großwärmepumpe, Photovoltaik (PV), Windenergie und Speicher hilft, rund 350 Tonnen CO2 im Jahr einzusparen.

Mehrere runde Puzzleteile.
Quelle: PIRO4D / https://pixabay.com/
Ein Multi-Komponenten-System aus Großwärmepumpe, Photovoltaik (PV), Windenergie und Speicher hilft bei der Energieeinsparung.

100.000 Euro weniger Energiekosten pro Jahr: Becker Robotic punktet mit einem Multi-Komponenten-System. Großwärmepumpe, Photovoltaik (PV), Windenergie und Speicher helfen dem Dülmener Unternehmen, rund 350 Tonnen CO2 im Jahr einzusparen. Die EnergieAgentur.NRW würdigte die Installation im vergangenen Jahr mit dem "Projekt des Monats November".

Ein Roboter zur Felgenherstellung.
Quelle: Becker Robotic
Becker Robotic produziert in Dülmen unter anderem Roboterteile für die Fertigung der Automobilindustrie. Im Bild: Roboter zur Felgenherstellung.

Wenn sich ein Kasernengelände, auf dem ehedem Artilleristen der Bundeswehr den Kriegsfall übten, in ein Paradebeispiel für umweltschonendes Denken und Handeln wandelt, schwingt ein Hauch von "Schwerter zu Pflugscharen" mit. Um die Umwelt zu schonen – und in 20 Jahren zwei Millionen Euro Energiekosten zu sparen –, wagte Andries Broekhuijsen mit seinem Unternehmen Becker Robotic den großen Wurf: Der Umzug in eine alte Kaserne in Dülmen sollte mit Investitionen in eine nachhaltige Energieversorgung einhergehen. Die Kaserne "Sankt Barbara" stand nach Abzug der Truppen 2002 erst einmal zehn Jahre leer. Bis schließlich der Unternehmer die Initiative ergriff: "Ende 2010 habe ich das erste Gespräch mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Münster gesucht und heute ist bis auf ein Grundstück auf dem Kasernenareal alles komplett vermarktet."

Mit der Energietechnik seines 100 Mitarbeiter starken Betriebs, den er vor 25 Jahren als Ein-Mann-Firma gegründet hat, will er gegenüber einer fossilen Medienversorgung die Atmosphäre jährlich um 350 t CO2 entlasten. Sein Unternehmen ist in dem neuen Gewerbegebiet das Vorzeigeobjekt. Für die vier Komponenten Großwärmepumpe, Photovoltaik, Windenergie und Speicheranlagen investierte er 800.000 Euro.

LED-Lampe an der Decke einer Produktionshalle.
Quelle: EnergieAgentur.NRW/Wiedemeier
Die Produktionshalle ist mit moderner LED-Technik ausgestattet, um den Stromverbrauch möglichst gering zu halten.

"Die Kopplung der installierten Photovoltaikanlage mit einem Batteriespeicher und einer reversiblen Wärmepumpe zur Wärme- und Kälteversorgung ist ein optimales Beispiel für eine zukunftsgerichtete Energieversorgung in Gewerbegebieten", findet auch Lars Schnatbaum-Laumann, Experte im Themenbereich erneuerbare Energien bei der EnergieAgentur.NRW. Die schaut sich regelmäßig im Land nach beispielgebenden Objekten um und prämierte Andries Broekhuijsens Entwurf im vergangenen Jahr mit dem "Projekt des Monats November". Der Firmeneigentümer hatte den Energieverbund auf seinem Gelände selbst geplant.

Begeistert vom Klimakomfort

Zum neuen Standort siedelte die Becker GmbH im Februar 2018 um. Das Gelände umfasst eine Produktionshalle von 4.400 m2. Das danebengelegene ehemalige Heizwerk für fossile Brennstoffe ließ der Unternehmer zum Bürogebäude für Konstruktion, Vertrieb und Verwaltung umbauen. Weitere Flächen und Gebäude gingen in die Vermietung, unter anderem an eine Tierarztpraxis, eine Fahrschule, eine Werbeagentur, einen Versandbetrieb sowie eine Spedition. Den Öko-Strom beziehen die Mieter vom Versorger Becker GmbH.

Der Bedarf für die Produktionsprozesse, Heizung und Kühlung des Automobilindustrie-Ausstatters, der Komponenten für deren Fertigungsroboter zuliefert, bewegt sich bei jährlich rund 315 Megawattstunden (MWh). Die gliedern sich auf zu einem Drittel (100 MWh) in Produktion, Beleuchtung, EDV-Anlage, E-Gabelstapler. Zwei Drittel, 215 MWh, entfallen auf Heizung und Kühlung mittels einer Luft/Wasser-Wärmepumpe für den Wärme- und Kühlbedarf des Produktions- und Bürogebäudes. Die Mieter beziehen darüber hinaus weitere rund 50 MWh.

Die Produktionshalle besitzt eine Betonkernaktivierung, das Bürogebäude eine konventionelle Fußbodenheizung. Die Wärmepumpe funktioniert reversibel und wird in der Sommerzeit für die Kühlung aller Räumlichkeiten eingesetzt. "Wir sind vom Komfort begeistert. Im letzten heißen Sommer haben wir es hier genossen, da hatten wir höchstens 26 °C in den Produktionshallen. Das freut die Mitarbeiter", geht der Geschäftsführer auf das Ergebnis der Flächentemperierung ein. Dem Energiekonzept für das Gewerbegebiet liegen folgende Ziele zugrunde:

  • Eigenerzeugung von 80 bis 90 Prozent des Jahresbedarfs an elektrischer Energie.
  • Es soll zu keinem Zeitpunkt mehr als 100 kW Leistung aus dem Versorgungsnetz bezogen werden.
  • Es soll zu keinem Zeitpunkt mehr als 100 kW Leistung ins öffentliche Netz eingespeichert werden.

Um diese Ziele zu erreichen, kommen vier ökologische Bausteine zum Einsatz, die im Folgenden näher beleuchtet werden. Ein zusätzlicher Gas-Brennwertkessel mit einer Heizleistung von 310 kW steht ausschließlich für Tiefsttemperaturen in Reserve.

Baustein 1: Großwärmepumpe

Die reversible Viessmann-Luft/Wasser-Wärmepumpe mit einem COP von 3,0 (Heizleistung: 135 kW, elektrische Leistungsaufnahme: 42 kW) und einer Kühlleistung von 176 kW ergänzen ein Pufferspeicher zum Heizen (2.000 Liter) sowie ein Pufferspeicher zum Kühlen (2.000 Liter). Es handelt sich um eine Split-Lösung mit dem Verdichterteil im Untergeschoss des Gebäudes und dem Wärmeübertrager außerhalb. Geothermie schied deshalb aus, weil die Grundstücksfläche die Anzahl der notwendigen Sonden nicht hergibt. Die Wärmepumpe konfektionierte das Schweizer Werk von Viessmann, die vormalige KWT AG, speziell auf diesen Einsatz. Bei Heiz-Wärmepumpen, mit der Betonung auf "Heiz", liegt zum Beispiel üblicherweise die Kälteleistung unter der Heizleistung. In Dülmen besteht dagegen mehr Bedarf an Kälte als an Wärme. Viessmann schneiderte sie auf Maß. Die Maschine auf dem Ex-Kasernengelände fällt in die Rubrik Großwärmepumpen. Typenmäßig lässt sie sich nicht zuordnen.

Eine Großwärmepumpe.
Quelle: Bernd Genath
Die maßangefertigte Großwärmepumpe mit einer Heizleistung von 135 kW und einer Kälteleistung von 176 kW.

Baustein 2: Photovoltaik

Von den vier PV-Anlagen mit jeweils knapp 100 kWp, beziehungsweise einer elektrischen Gesamtleistung von maximal 400 kWp, auf dem Hallendach sind zwei seit Sommer 2019 installiert. Die beiden anderen sollen in diesem Jahr aufs Dach kommen. Die Planung geht von einem Jahresertrag für den Standort Dülmen von 342 MWh aus.

Für die Abgabe ans öffentliche Netz gilt Folgendes: Seit Inkrafttreten des EEG 2012 ist die maximale Einspeiseleistung von PV-Systemen unterhalb von 30 kWp auf 70 Prozent der installierten Nennleistung zu begrenzen, sofern der Kleinproduzent keiner ferngesteuerten Leistungsreduzierung durch den Netzbetreiber zugestimmt und eine entsprechende Rundsteuerregelung installiert hat. Diese Maßnahme soll zur Netzstabilisierung beitragen. Für die große PV-Anlage in Dülmen – betrieben in Verbindung mit Stromspeicher-Einheiten – bestand die Auflage, nur mit bis zur Hälfte ihrer maximalen elektrischen Leistung (im vorliegenden Fall pro Anlage à 99 kWp maximal 49,5 kW) das regionale Versorgungsnetz zu beladen. Diese Auflage berührte den Eigentümer aber wenig, da er sich ohnehin bei der Auslegung am Eigenverbrauch orientiert hatte.

Mehrere PV-Wechselrichter in einem Keller.
Quelle: EnergieAgentur.NRW/Wiedemeier
Für den PV-Wechselrichter "Sunny Tripower" soll, laut Hersteller SMA, auch leichte Verschattung der Kollektoren aufgrund des integrierten Schattenmanagements kein Problem sein.

Baustein 3: Windenergie

Noch in Planung, aber bereits vorgenehmigt, ist eine Kleinwindenergieanlage (KWEA) für rund 5 m/s durchschnittlicher Jahreswindgeschwindigkeit in etwa 40 m Höhe über Boden, Windklasse III oder IV nach IEC 61400. Zur Auswahl stehen beispielsweise eine 60 kW KWEA eines südeuropäischen Herstellers oder eine direkt angetriebene Anlage (99,5 kW) mit zweiblättrigem 30-m-Rotor, stallgeregelt. Stallregelung bedeutet, dass die Rotorblätter fest (im Gegensatz zur Pitch-Regelung mit verstellbaren Blättern) auf eine Normwindgeschwindigkeit ausgerichtet werden. Bei zu wenig Wind besteht das Problem, dass die Rotoren schlecht anlaufen. Deshalb kann bei solchen Anlagen der Generator auch als Motor betrieben werden, um eine Mindestrotationsgeschwindigkeit zu gewährleisten.

Der Jahresertrag am Einbauort dürfte rund 175 MWh gemäß Gutachten des Büros EuroWind, Köln, betragen. "Wir standen bei der Errichtung der Windenergieanlage vor unerwarteten Problemen: Es gibt fast keine Firmen mehr, die Windenergieanlagen in der Größe 50 bis 100 kW herstellen. Wir haben nur zwei Hersteller gefunden, die sitzen beide in Italien. Wir haben auf eine Kleinwindenergieanlage gesetzt, weil diese Anlagen nicht unter das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) fallen. Zwar mussten wir dennoch einige Untersuchungen zum Lärmschutz, Schattenwurf und zu ökologischen Faktoren veranlassen, aber die waren weniger aufwändig als die Vorschriften gemäß BImSchG", erklärt Broekhuijsen.

Baustein 4: Stromspeicher

Im Gebäude von Becker Robotic gibt es zwei Stromspeicher-Anlagen auf Basis Lithium-Eisenphosphat für jeweils zwei der vier PV-Anlagen. Für die erste PV-Anlage stehen vier Fenecon-"Commercial-40-40"-Gewerbespeicher im Keller, für die zweite vier Fenecon-"Commercial 50-60". "40-40" heißt: 40 kW Be- und Entladeleistung sowie 40 kWh Speicherkapazität; 50-60 entsprechend. Das addiert sich zu 400 kWh Gesamtspeicherkapazität. "Das mit den Stromspeichern habe ich nicht nur aus Überzeugung gemacht", so der Unternehmer über sein Energiekonzept, "denn tagsüber, wenn wir Strom übrig haben sollten, kriegen wir nur 10 Cent/kWh dafür. Kaufen wir ihn nachts zurück, kostet er 25 Cent/kWh." Mit den Zwischenspeichern spare er also auch Energiekosten. Das sei die positive Erkenntnis. Allerdings müsse der Hersteller nochmal ran: "Zum Teil müssen wir die Batterien von Hand zuschalten. Die Speicherung funktioniert noch nicht reibungslos. Für die Inbetriebnahme muss man sich wohl doch einige Zeit nehmen."

Ein Mann steht in einem Keller, um ihn herum stehen Stromspeicher an der Wand.
Quelle: EnergieAgentur.NRW/Wiedemeier
Geschäftsführer Andries Broekhuijsen im Keller mit seinen Stromspeicher-Einheiten: Per App kann er die aktuellen Speicherstände einsehen. 400 kWh Gesamtspeicherkapazität stehen zur Verfügung, um den aus den PV-Anlagen gewonnenen Strom zu speichern.

Ein Mann steht an einem geöffneten Stromspeicher.
Quelle: EnergieAgentur.NRW/Wiedemeier
"Wir speichern lieber unseren selbst erzeugten Strom, statt dass wir für 25 Cent je Kilowattstunde dazukaufen."

Schwieriger Biogasbezug für KWK

Aus dem Versorgungsnetz müssen wegen kurzzeitig zu wenig Sonne und zu wenig Wind etwa 38 MWh elektrische Energie pro Jahr bezogen werden, ergo zehn Prozent des Jahresverbrauchs. In Gegenrichtung fließen 190 MWh pro Jahr. "Wir hatten auch an Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gedacht, allerdings auf Basis von umweltschonendem Biogas. CO2-emittierendes Erdgas kam nicht infrage. Wir mussten feststellen, dass das wohl mehr etwas für landwirtschaftliche Betriebe mit eigener Biogasanlage ist. Die Belieferung mit Biogas als Flüssiggas gestaltete sich als sehr schwierig. Auch von der Vertragsseite her. Als Zweites kam hinzu, dass wir ein relativ kleines BHKW hätten nehmen müssen, da wir im Sommer nur wenig Wärme benötigen."

Von Bernd Genath
Düsseldorf
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