KWK

An übermorgen denken

KWK: Weil sich die Preisschere immer mehr öffnet

Mittwoch, 09.11.2022

Wenn Strom und Gas beide um zehn Prozent teurer werden, öffnet sich absolut gesehen die Schere zwischen dem Strom- und dem Gaspreis noch mehr.

Das Bild zeigt ein Haus
Quelle: Bernd Genath
Das „KfW 40 plus“-Haus „Kairos Home“ in Haiger: Auf dem Dach installiert ist eine 30-kW-Photovoltaikanlage, im Keller stehen ein Erdgas-Blockheizkraftwerk sowie ein Stromspeicher.

„Mit Kraft-Wärme-Kopplung werden wir deshalb auch in Zukunft die Heizkosten niedrig halten und der Umwelt Gutes tun können“. Mit dieser Überzeugung investierte ein Energiedienstleister in die von ihm betriebenen Immobilien. Die KfW erleichterte ihm die Entscheidung – und die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) wir es auch zukünftig tun.

Warum trägt die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) zur Emissionsminderung bei? Für Dipl.-Ing. Hans Hermann Freischlad, Geschäftsführer des Energieanlagenbauers WHSE in Haiger im Dreiländereck Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, ist die Rechnung ganz einfach. Sinngemäß sieht sie so aus: Nehmen wir das erste Quartal 2022 mit einem Anteil von 48 Prozent erneuerbare Energie am bundesdeutschen Stromerzeugungsmix. Der Strom belastete nach behördlichen Zahlen je Kilowattstunde die Umwelt mit 375 g Kohlendioxid. Besser sieht es für einen Gas-Brennwertkessel aus. Dem weisen die amtlichen Rechner 220 g je Kilowattstunde zu.

So, bei einer getrennten Strom- und Wärmeerzeugung fallen beispielsweise für zusammen 1.500 kWh Strom und Wärme und bei einem Verhältnis von 1:2 – wie in einem BHKW – 407.500 g oder 407,5 kg CO2 an (= 500 kWh x 375 g/kWh + 1.000 kWh x 220g/kWh). Ein erdgasbetriebenes BHKW, das Strom und Wärme mit einem Gesamtwirkungsgrad von 96 Prozent (hier aufgerundet auf 100 Prozent) bereitstellt, produziert 1.500 kWh x 220 g/kWh, reduziert folglich die Umweltbelastung pro 1.500 kWh um rund 77 kg auf 330 kg CO2. Also um 25 Prozent. Wobei die Überschlagsrechnung noch den Nachgeschmack hat, dass sie in den Strommix die CO2-arme französische Kernenergie in die erneuerbare Energieerzeugung mit einbezieht. Denn Deutschland hängt am europäischen Verbundnetz. Die hierzulande generierte Elektrizität mit Kohlekraftwerken als Hauptlieferant würde, für sich betrachtet, die Atmosphäre mit knapp 600 g/kWh und damit mit der fast doppelten CO2-Menge kontaminieren.

Für die Bundesregierung spielt die KWK mittlerweile mit Blick auf die Klimaziele 2030 ebenfalls eine zweckdienliche Rolle. Im Entwurf des EEG 2023 steht: „Die bisherige Zielformulierung einer bestimmten Menge an KWK-Strom ist nicht mehr sachgerecht. In einer zunehmend dekarbonisierten Stromversorgung muss auch das KWKG im Interesse der Energieeinsparung sowie des Klima- und Umweltschutzes die Transformation zu einer nachhaltigen und treibhausgasneutralen Energieversorgung im Bundesgebiet unterstützen.“

Das Bild zeigt Herr Freischlad mit BHKW.
Quelle: Bernd Genath
„Wenn man Investor und Betreiber ist, hat man die Chance, auch mal zu experimentieren“, betont Hans Hermann Freischlad, Premiumpartner von EC Power, am BHKW „XRGI 20“.

Preiswerter Wohnraum für Flüchtlinge

Das ist die Umweltseite. Noch freundlicher sieht die Kostenseite aus. Die 500 kWh selbsterzeugter Strom, mit relativ preiswertem Erdgas, finanzieren die 1.000 kWh Wärme. Generell und erst recht in Haiger. Denn dort bezieht die WHSE als Großabnehmer für mehrere Immobilien vom Versorger im Rahmen eines langjährigen Vertrags jährlich 4 Mio. Kilowattstunden Erdgas zu einem Festpreis inklusive sämtlicher Nebenkosten für rund 4 Cent (brutto) pro Kilowattstunde. Bei diesen Konditionen ist die Wärme nicht nur ein kostenloses Abfallprodukt des KWK-Strom-Betriebs. Auch die Kilowattstunde Elektrizität vergünstigt sich für die Verbraucher.

Zu denen, zu den Verbrauchern, gehört unter anderem die Wohngemeinschaft „Kairos Home“ für Geflüchtete aus aller Herren Ländern, beispielsweise aus dem Iran, aus dem Irak, aus Syrien, aus Eritrea. Laut Wikipedia steht Kairos als religiös philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung. Dass der günstige Zeitpunkt jetzt ist, darauf verweist dramatisch die Fluchtwelle aus Ländern rings um das südliche und östliche Europa. Kairos e.V. gehört zu der Freien Evangelischen Gemeinde. Wer in den Einrichtungen ein neues Zuhause finden will, muss jedoch nicht seine Konfession nachweisen, er muss nur bereit sein, die christliche Kultur zu akzeptieren. „Kairos Home“ versteht sich deshalb auch als Begegnungsstätte, in der sich verschiedene Ethnien treffen, austauschen und verstehen lernen.

Mit KWK zum „KfW plus“-Standard

Der Geist dieser Bewegung schließt ein, dass ihre Häuser besonders lebenswürdig sein sollten. In Haiger errichtete Investor Freischlad für Kairos e.V. unter anderem einen Neubau mit neun Wohnungen und einem Mehrzweckraum für Begegnungen, Spiele, Unterhaltung, christliche Gottesdienste und anderes, der in seiner baulichen und energetischen Qualität Maßstab für bundesdeutsche Wohnimmobilien sein sollte. „Wir haben“, berichtet Hans Hermann Freischlad, „im September 2020 hier ein altes Gebäude abgerissen und dieses Heim errichtet. Und zwar mit dem Standard »KfW 40 plus«. Auf dem Dach liegt eine 30-kW-Photovoltaikanlage, im Keller steht ein BHKW-Modul des Typs »XRGI 20« von EC Power, den Solar- und KWK-Strom speichern wir in einer 48-kWh-Batterie zwischen und versorgen von dieser Energiezentrale aus »Kairos Home« und die benachbarte Villa »Haus Bertha« mit 550 m2 Wohnfläche.“ Villa Bertha war das frühere Wohngebäude des Hüttendirektors der Eisenhütte Haiger.

In der wohnt zurzeit unter anderem eine afghanische Familie mit sechs Kindern „und ebenfalls haben wir dort ein weiteres Begegnungszentrum namens »Lighthouse« eingerichtet. Lighthouse e.V. öffnet sonntags Menschen aus allen Ländern die Tür, um sich bei Kaffee und Kuchen und ohne Programm näher zu kommen. Des Weiteren finden hier Schulungen im sozialen und christlichen Bereich statt.“

Je stärker, je wirtschaftlicher

Hans Hermann Freischlad investierte nicht nur, er brachte auch seinen Sachverstand ein. Neben der WHSE leitet der Diplom-Ingenieur ein Ingenieurbüro. Der Sachverstand beruht unter anderem auf rund 100 BHKW, die er allein in seiner Heimatstadt Haiger aufgestellt hat, sowie auf dem Erfahrungsaustausch in der Arbeitsgruppe Klein-BHKW im Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung (B.KWK), in der er viele Jahre den Vorsitz hatte. Seine Anfänge vor 22 Jahren begann er mit Mikro-BHKW mit Leistungen von 5,5 kWel. Heute kümmern sich sein Betrieb und sein Planungsbüro mehr um Installationen von 6 bis 50 kWel, „weil hier eine noch bessere Wirtschaftlichkeit gegeben ist. EC Power bietet uns eine entsprechende Palette von 6, 9 ,15 und 20 kWel. Auf Basis dieser Maschinen entwickeln wir Energiekonzepte, die im Sommer Strom aus den PV-Anlagen und im Winter Strom und Wärme aus dem »XRGI« ziehen. Mittlerweile sind auch die Batterie-Technologie und die E-Mobilität hinzugekommen. Damit erweitert sich der Leistungsbereich.“

Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) gewährte bis Februar 2022 für den Effizienzhaus-Standard „40 plus“ einen Kreditbetrag je Wohneinheit von 150.000 Euro und einen Tilgungszuschuss von maximal 37.500 Euro. „Kairos Home“ profitierte noch davon. Die BEG hat praktisch den Mehraufwand gegenüber „KfW 40“ bezahlt: 24 cm Wärmedämmung mit Mineralwolle auf den Außenwänden, 30 cm Isoflock-Isolierung unter dem Dach, kontrollierte Be- und Entlüftung, erneuerbare Energien, eigene Stromproduktion mit PV und BHKW und anderes.

Anfang dieses Jahres musste Wirtschafts- und Klimabundesminister Robert Habeck aufgrund der hohen Antragsflut jedoch ein Limit verkünden. Das berührt zwar nicht den Kreditbetrag von 150.000 Euro, halbiert aber den Tilgungszuschuss auf 18.750 Euro. Ab nächstes Jahr sieht es voraussichtlich wieder anders aus. Im Januar 2023 startet als dritte Stufe der BEG das Programm „Klimafreundliches Bauen“ mit einer noch stärkeren Ausrichtung auf nachhaltiges Bauen: Unter anderem ist daran gedacht, die Treibhausgas-Emissionen über das Gebäudeleben hinweg zu betrachten, also über den Lebenszyklus, sowie das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) zur Bedingung zu machen.

Das Bild zeigt den Speicher.
Quelle: Bernd Genath
Der Wärmepufferspeicher mit einem Volumen von 2 m³: Die Anschlüsse rechts sind der Vor- und Rücklauf vom Spitzenlastkessel, links der Rücklauf von den Verbrauchern.

Mehr Warmwasserbereiter als Heizung

Das BHKW im Keller mit 20 kWel und gut 40 kWth läuft zwischen zwölf und 24 Stunden am Tag. „Bei Temperaturen oberhalb 5 °C würde es zu Heizzwecken mit rund drei Stunden auskommen: Nur etwa 20 Prozent der Wärmemenge gehen in die Heizung, 80 Prozent in die Warmwasserbereitung. Bei »KfW 40 plus«-gedämmten Gebäuden genügen meist die solaren plus inneren Wärmegewinne durch Kochen und andere Elektrogeräte, um die Wohnung warm zu halten. Wenn das »XRGI« steht, übernimmt der Pufferspeicher die Wärmeversorgung und der Batteriespeicher oder direkt die Sonne liefern den Strom. Die PV-Anlage deckt im Sommer auch jenes Defizit an Strom, den das BHKW mangels Wärmeabnahme nicht bereitstellt.“ Villa Bertha hat eine Heizlast von 40 kW, der Neubau von 8 kW. Das „XRGI 20“ mit seiner thermischen Leistung von 44 kW reicht mithin aus, um beide Objekte ausreichend komfortabel zu temperieren und mit Warmwasser zu versorgen.

Die Kosten für eine Heizung über ihren Lebenszyklus betrachtet, verteilen sich in der Regel auf zehn Prozent Investitions- und 90 Prozent Energiekosten. „Die bessere Investition ist deshalb immer die Kraft-Wärme-Kopplung. Denn die wertvollere Energie ist ja der Strom. Der fließt mit einem großen Delta T in die Lebenszykluskosten ein.“ Wärmetechnisch hat sich das Ingenieurbüro Freischlad eine ganz besondere Ausführung ausgedacht. „Wenn man Investor und Betreiber ist, hat man die Chance, auch mal zu experimentieren, abseits der reinen Wärmelehre. In einer Technikzentrale fällt Abwärme vom BHKW und der Batterieanlage an. Bei uns heizt in erster Linie das BHKW den Technikraum auf, eventuell noch ergänzt von ein paar Kilowattstunden, die der Batteriespeicher verliert. Diese Energie können Sie zum Fenster hinaus lüften oder aber mit einer Wärmepumpe zur Trinkwarmwassernutzung einsetzen. Wir gehen einen anderen Weg. Wir fangen sie mit der Betonkerntemperierung in der Decke ab und schieben sie hinüber zur Beheizung des Mehrzweckraums.“

Decke heizt Boden

Der Mehrzweckraum im Untergeschoss liegt auf gleicher Ebene wie die Technikzentrale. Die Betonkerntemperierung in der Deckenplatte unterhalb der Isolierung zu den Wohnungen darüber nimmt einen Teil der Raumwärme auf und schiebt sie in die Fußbodenheizung der Begegnungsstätte. Unter der 41 cm dicken Bodenplatte von „Kairos Home“ liegt eine 16 cm dicke Dämmung. Damit halten sich die Verluste zum Erdreich hin in Grenzen. Im letzten Winter 2021/2022 blieb der Heizraum im Mittel unter 25 °C, während die Fußbodenheizung den Mehrzweckraum mit einer Bodentemperatur bis 27 °C ausreichend temperierte. „Wir mussten nicht ein einziges Mal nachheizen. Die zusätzlich installierten Radiatoren haben eigentlich nur Sicherheitsfunktion für den Winter. Wenn das BHKW ausfallen würde, bliebe der Mehrzweckraum kalt. Der wird jedoch zeitweise auch als Wohnraum genutzt.“

Bei extremem Wetter im Winter – Haiger liegt am Westerwald – muss der Erdgaskessel als Spitzenlastkessel Dienst tun. Der hat eine Leistung von 100 kW, die sich, wie eingangs erwähnt, aus dem Warmwasserbedarf errechneten. Immerhin wohnen in den einzelnen Einheiten Familien mit drei, vier und mehr Kindern.

Galerie

  • Das „KfW 40 plus“-Haus „Kairos Home“ in Haiger: Auf dem Dach installiert ist eine 30-kW-Photovoltaikanlage, im Keller stehen ein Erdgas-Blockheizkraftwerk sowie ein Stromspeicher.
  • „Wenn man Investor und Betreiber ist, hat man die Chance, auch mal zu experimentieren“, betont Hans Hermann Freischlad, Premiumpartner von EC Power, am BHKW „XRGI 20“.
  • Der Wärmepufferspeicher mit einem Volumen von 2 m³: Die Anschlüsse rechts sind der Vor- und Rücklauf vom Spitzenlastkessel, links der Rücklauf von den Verbrauchern.
Von Bernd Genath
Düsseldorf
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