Erneuerbare Energien

Geiz ist nachhaltig

Wenn die Heizwärme aus der Kälte kommt

Mittwoch, 24.05.2023

Nein, wir haben in der Vergangenheit nicht am falschen Ende gespart. Aus wirtschaftlicher Sicht lohnte es sich nicht, für jede brach liegende Kalorie eine aufwendige Auffangvorrichtung zu installieren. Der aktuelle Wertzuwachs der Energieeinheit hat jedoch die Situation geändert. Gebrauchte Kälte etwa drängte sich als Heizenergie für ein frisch gebautes Quartier in Bayerns Hauptstadt förmlich auf. Die Stadtwerke München GmbH (SWM) griff denn auch zu.

Als effiziente Energiequelle identifizieren Wohnungswirtschaft und kommunale Betriebe die Kalte Fernwärme, wie etwa die Stadtwerke München. Unter anderem konkret für das Quartier „Postillonstraße“.
Quelle: BWP
Als effiziente Energiequelle identifizieren Wohnungswirtschaft und kommunale Betriebe die Kalte Fernwärme, wie etwa die Stadtwerke München. Unter anderem konkret für das Quartier „Postillonstraße“.

Die kommunale Gesellschaft wandelte ein Fernkältenetz in ein kombiniertes Kälte-Wärme-Netz um: Mithilfe von zwei Großwärmepumpen, die sie in den Rücklauf hängte und die nun die Wohnanlage „Postillonstraße“ temperieren. SWM spricht von Abwärmenutzung – der neue Trend heißt nicht nur in München: nichts verschenken!

Der Ukraine-Konflikt und die drohende Gasverknappung beschleunigen es: Versorger und Industrieunternehmen entdecken den Einsatz von Groß- und Hochtemperaturwärmepumpen. Während in der Vergangenheit bei 60 oder 70 °C Schluss war, gehen die Temperaturen heute bis 130 und 140 °C für den industriellen und, etwas gemäßigter, für den Fernwärmeeinsatz hoch. Die Wärmepumpen-Heizleistungen kletterten von 100 kW auf 100 MW. Als effiziente Energiequelle identifizieren Wohnungswirtschaft und kommunale Betriebe die Kalte Fernwärme, wie etwa die SWM. Unter anderem konkret für das Quartier „Postillonstraße“.

Auf einer Veranstaltung des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP) im Juni des vergangenen Jahres gingen SWM-Mitarbeiter ins Detail: Für die Werkswohnungen unweit zum Stachus musste unter anderem eine städtische Tennisanlage weichen. Auf rund 8.000 m2 entstanden für die SWM-Mitarbeiter insgesamt 114 Einheiten, vom Ein-Zimmer-Appartement bis zur Fünf-Zimmer-Wohnung. Natürlich im Winter fußbodenbeheizt und im Sommer fußbodengekühlt. Eine Hoch- und eine Niedertemperaturwärmepumpe machen die „Postillonstraße“ von der Erdgas-Verknappung weitgehend unabhängig. Die Niedertemperaturwärmepumpe mit einer Leistung bis rund 320 kW und möglichen maximalen Vorlauftemperaturen bis 45 °C übernimmt den Heizbetrieb, die Hochtemperaturwärmepumpe die Trinkwassererwärmung bis etwa 70 °C. Die Brauchwarmwasserbereitung geschieht mithilfe von Frischwasserstationen, die sich aus der Hochtemperaturzone des 2.500-l-Speichers die Heizenergie holen.

Das Fernkältenetz Moosach in der Prinzipskizze – angeschlossen kälteseitig u. a.: IT-Rathaus München (EDV, Klimatisierung), Busbetriebshof Moosach (Klimatisierung), OBC Olympia Business-Center (Klimatisierung). Wärmeseitig angeschlossen: SWM-Werkswohnungen „Postillonstraße“, Busbetriebshof Moosach (Eisfreihaltung Freifläche), Dantebad.
Quelle: BWP
Das Fernkältenetz Moosach in der Prinzipskizze – angeschlossen kälteseitig u. a.: IT-Rathaus München (EDV, Klimatisierung), Busbetriebshof Moosach (Klimatisierung), OBC Olympia Business-Center (Klimatisierung). Wärmeseitig angeschlossen: SWM-Werkswohnungen „Postillonstraße“, Busbetriebshof Moosach (Eisfreihaltung Freifläche), Dantebad.

Großwärmepumpen im Quartier

Das eigentlich Spannende an der „Postillonstraße“ ist die quasi semizentrale Struktur. Viele heiße Fernwärmenetze arbeiten mit einem einzigen zentralen Wärmeerzeuger und einem ausgedehnten Verteilnetz für die Hochtemperatur. Für den Klimakomfort in den Zimmern sind Mischer in der Wärmeübergabestation in der Heizzentrale des einzelnen Hauses zuständig. Typische Kalte Nahwärme verzichtet demgegenüber auf ein verlustbehaftetes Hochtemperaturnetz von einem zentralen Wärmeerzeuger aus, indem sie eine ferne Niedertemperatur-Energiequelle bis quasi vor die Haustür schiebt und das Delta T zwischen außen und innen von dezentralen Wärmepumpen hochspannen lässt.

Nicht so in der „Postillonstraße“. Dort entschieden sich die Planer für eine unkonventionelle dritte Variante: Kalte Nahwärme ja, einzelne Wärmepumpen für jedes Haus nein. Stattdessen zwei halbzentrale Großwärmepumpen im Quartier, die sich am erwärmten Rücklauf des örtlichen Kältenetzes bedienen. Als dessen Energiequelle dienen Grundwasser und die Stadtbäche mit Temperaturen ganzjährig zwischen 11 und 13 °C. Das Rohrgewebe entstand einige Jahre nach Millennium mit der Aufgabe, schwache Kälte unter anderem für das Dantebad, für die Kühlung der EDV in der Rathaus-IT und für den Busbetriebsbahnhof Moosach bereitzustellen. Dieses Versorgungsnetz namens „Fernkältenetz Moosach“ saugt das Kaltwasser aus drei Förderbrunnen und versickert es über zwei Schluckbrunnen.

Neun Eisspeicher

An diese vorhandene Struktur erinnerten sich die Stadtwerke-Mitarbeiter in der Entwurfsphase des Postillon-Areals und bauten darauf eine Rücklauf- oder, wie es in den Unterlagen öfters heißt, Abwärmenutzung zur Heizenergieversorgung auf. Abwärme deshalb, weil der Rücklauf unter anderem die Übertemperaturen aus den angeschlossenen technischen Verbrauchern, beispielsweise den Rechenzentren, enthält. Die Wärmepumpen entnehmen dieses Polster und tragen es über ein Heizkreisverteilernetz in die Wohnungen.

Weiterführende Informationen: https://www.viessmann.de/

Von Bernd Genath
Düsseldorf
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