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KWK

Die richtige Hydraulik für Nahwärme aus Kesseln und BHKW-Modulen

Vereint produzieren, getrennt versorgen

Montag, 11.09.2017

In Nahwärmeobjekten mit BHKW-Modulen und Gas-Brennwertkesseln lohnt es sich, nach Mög­lichkeit aus bestimmten verordnungsrechtlichen Bestimmungen heraus, das Heizungswasser der beiden Erzeuger nicht grundsätzlich in ein- und denselben Kreis einzuspeisen. Eine solche Hydraulik bietet viele Vorteile, wie sich - nicht nur - am hier vorgestellten Konzept in Dresden-Pieschen zeigt.

Das frühere Elbfischerdorf Pieschen, im Nordwesten der Landeshauptstadt Dresden an der Grenze zu Radebeul gelegen, verlor mit der Eingemeindung in die sächsische Metropole 1897 seine Selbstständigkeit. Die Gebietsreform bescherte dem ohnehin schon prunkvollen Dresden ein weiteres architektonisches Schmuckstück, das gerade neu gebaute Rathaus der Kommune. 1891, als Elbflorenz noch Nachbarstadt Pieschens war, hatte der Rat der Gemeinde den reich verzierten Backsteinbau – natürlich aus Elbsandstein im typischen Historismus-Stil der Gründerzeit errichtet – bezogen. Deutschland war junges Kaiserreich, das hatte sich auch in den öffentlichen Objekten widerzuspiegeln.

Das Rathaus Dresden-Pieschen von vorne.
Quelle: Bernd Genath
In das Kellerlabyrinth des Denkmals Rathaus Dresden-Pieschen musste zur Jahreswende 2016/2017 eine größere Heiztechnik mit einer Leistung von insgesamt 800 kW hinein.

Nahwärme statt Fernwärme

In das Kellerlabyrinth des Denkmals musste zur Jahreswende 2016/2017 wegen Erweiterungsmaßnahmen mit neuen Abnehmern im Komplex eine größere Heiztechnik mit einer Leistung von insgesamt 800 kW hinein.

Wie dimensioniert und strukturiert man nun als Contractor optimal eine KWK-Anlage plus Kessel, wenn am Nahwärmenetz Alt- und Neubauten, für die unterschiedliche Rechtsordnungen gelten, und sowohl Mieter als auch Eigentümer mit stark differierendem Wärme- und Strombedarf hängen? Und wenn Blöcke, Puffer, Kessel in die verschachtelten Kellerräume eines Denkmal geschützten Gebäudes eingebracht werden müssen?

Unter anderem ist strategisches Denken gefragt, wie in Dresden-Pieschen.

Dem Auftraggeber wäre eine Fernwärmestation am liebsten gewesen. Denn USD Immobilien, der Projektentwickler des Areals mit einem Altbau, dem Rathaus, mit Neubauten, nämlich der benachbarten Markus-Passage, einem Bibliotheksgebäude und einem französischen Spezialitätengeschäft, wollte wenig mit der Heizung zu tun zu haben.

Direkt konnte jedoch die Drewag, als örtlicher Versorger und vertraglicher Contractor, damit nicht dienen. Einfach aus dem Grund nicht, weil in diesem Abschnitt Pieschens keine Fernwärme liegt. Also schlug die Abteilung "Energienahe Dienstleistungen" der Gesellschaft "Fernwärme aus der Nähe" (Drewag) vor, aus einer Nahwärmeinsel zu einem Preis, der sich mit dem Fernwärmetarif decken würde, zu versorgen. Der Bauherr sagte zu.

Wegen der vielen kleinen Kellerräume standen die Planer vor einer Puzzle-Aufgabe. Es mussten drei Brötje-Gas-Brennwertkessel (2 x 300 kW plus 1 x 170 kW), vier 1.000-l-Pufferspeicher und drei "XRGI"-BHKW-Module von EC Power – um nur die größten Brocken zu nennen – im Kellergeschoss verteilt werden.

Zwei der Brötje-Gas-Brennwertkessel im Untergeschoss des Rathauses.
Quelle: Bernd Genath
Der Wärmebedarf der mit Nahwärme versorgten Objekte beträgt total 800 kW. Hier zwei der Brötje-Kessel mit jeweils 300 kW Heizleistung im Untergeschoss des Rathauses.

Dieses Puzzle erschwerte noch die ältere vorhandene Gas-Brennwert-Kesselanlage von Viessmann mit ihren 300 kW, die nur für das Rathaus zuständig war und vorerst in Betrieb bleiben musste. Die Sanierung, inklusive dem Netzausbau zu einer Nahwärmeversorgung der benachbarten Neubauten, lief parallel.

Kaskade ohne Schallprobleme

Bei der Inbetriebnahme Ende März dieses Jahres schüttelte Henning Astermann aus der Abteilung "Energienahe Dienstleistungen" der Drewag aber mit dem Kopf auf die Frage, ob er bei einem großzügigeren Raumangebot auf eine andere Anlagenkonfiguration gekommen wäre: "Nein. Es stimmt zwar, die Platzbedingungen engten unseren Freiraum ein, weil wir alles durch die Türen kriegen mussten. Zugegeben, ein 50-kW-Aggregat oder noch größer kann man eventuell zerlegen.

Aber Sie holen sich mit den größeren Einheiten zwei Probleme sprichwörtlich ins Haus: Das erste ist der Schall. Es ist beinahe unmöglich, den in Wohn- und Geschäftshäusern auf die Toleranzschwelle zu re­duzieren. Eine Dreier-Kaskade mit dreimal 20 kW elektrisch ist deutlich leiser. Deshalb installieren wir im sensiblen Wohn- und Geschäftbereich ohnehin in erster Linie Kaskaden mit kleineren EC Power-Maschinen. Wir bauen mittlerweile das 50. »XRGI«-Aggregat des Herstellers ein.

Auch aus diesem zweiten Grund: wegen der besseren Regelbarkeit. Der Regelbereich der großen Maschinen reicht üblicherweise von 50 bis 100 Prozent. Bei 60 kW elektrisch kommen Sie nicht unter 30 kW. Unterstellen wir, dass sich auch kleinere Maschinen in diesem Leistungsband bewegen, dann heißt das aber, dass Sie eine Dreier-Kaskade mit dreimal 20 kW auf 10 kW herunterfahren können. Eingestanden, die Kaskade geht etwas mehr ins Geld. Das stimmt aber schon dann nicht mehr, wenn Sie eine große Maschine in geteilter Ausführung einbringen und wieder zusammenbauen müssen. Das macht die Angelegenheit sogar teurer. Wir haben durchkalkuliert, hier im Rathaus erwies sich die »XRGI«-Gruppe preiswerter als eine Großmaschine."

Drei Installateure und zwei
Quelle: Bernd Genath
Die Drewag setzt auf BHKW-Kaskaden statt Großmaschinen – im Bild zwei der drei geplanten "XRGI"-Maschinen mit jeweils 20/40 kW (elektrisch/thermisch).

Auflagen für den Neubau

Wieso lediglich 3 x 20 kW elektrisch bei insgesamt 800 kW thermisch? Wäre mehr nicht wirtschaftlicher?

"Das ist eine Aufwand-Nutzen-Frage, in die auch das Energieeinsparungsgesetz hineinspielt beziehungsweise der notwendige erneuerbare Energienanteil für den Neubau. Thermisch stellt ja jedes Aggregat immerhin 40 kW zur Verfügung. Den Strom nutzen wir im Komplex gar nicht. Wir speisen in das öffentliche Netz ein. Das hat etwas mit den verschiedenen Nutzern zu tun. Die haben keinen großen Elektrizitätsbedarf. Die Installation einer doppelten Zähleranlage, die Abrechnung und anderer Aufwand mehr lohnen nicht für den geringen Bedarf.

Hinzu kommt: Die hydraulische Schaltung legten wir so aus, dass die noch im Bau befindliche Markus-Passage vorrangig die Wärme aus der KWK-Kaskade erhält, das Rathaus beziehungsweise Ortsamt dagegen Kesselwärme bezieht. Das hat verschiedene Vorteile."

Henning Astermann meint damit, dass für den Neubau am Nahwärmenetz wegen der reinen KWK-Wärmeversorgung die Pflicht entfällt, 15 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen ­decken zu müssen. § 7 des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) akzeptiert die KWK als Ersatzmaßnahme, wenn sie auf mindestens 50 Prozent des Bedarfs ausgelegt ist.

Die hydraulische Schaltung zielt aber nicht nur darauf ab, der Neubau profitiert aufgrund der BHKW-Wärme noch von einem zweiten KWK-Bonus: Die EnEV belohnt Fern-/Nahwärme, wenn sie zu 70 Prozent aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kommt, mit einem Primärenergiefaktor von pauschal 0,7. Der zahlt sich vor allen Dingen in Einsparungen an den Dämmmaßnahmen aus. USD Immobilien hatte diesen Wert vor­gegeben. In der Regel stammt Fernheizwasser aus unterschied­lichen Erzeugungsanlagen. Der Primärenergiefaktor muss dann nach einer relativ komplizierten Formel berechnet werden. Das hätte in Pieschen auch für einen Nahwärme-Mix aus Kessel- und Motorwärme gegolten. Mit der Versorgung des Neubaus jedoch zu mindestens 70 Prozent aus den "XRGI"-Modulen lag der verlangte Primärenergiefaktor 0,7 amtlich abgesegnet ­direkt auf dem Tisch.

Die Abnahme der BHKWs durch Drewag-Ingenieur Henning Astermann.
Quelle: Bernd Genath
Abnahme durch Drewag-Ingenieur Henning Astermann. Die Drewag betreibt das Nahwärmenetz im Contracting.

Von Bernd Genath
Düsseldorf
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