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Wärme

Entwicklung einer Softwareumgebung für die Gebäude- und Sektorkopplung

Donnerstag, 02.04.2020

Nachhaltige Quartiere durch eine Energieversorgung im Verbund realisieren.

Die Energiewende und der sich verschärfende Klimawandel setzen die Energiewirtschaft erheblich unter Druck und machen in der Zukunft Lösungen für eine nachhaltigere Wärme- und Stromversorgung erforderlich. Die zunehmende Elektrifizierung, der Ausbau der dezentralen Energieerzeugung und die steigende Fluktuation im Netz bringen das bisherige Versorgungssystem an Grenzen, die nur mit neuartigen Lösungen überwunden werden können. Mit einem erheblichen Anteil am Primärenergieverbrauch Deutschlands sind Effizienzsteigerungen im Gebäudesektor ein wichtiges energiepolitisches Ziel.

Eine Möglichkeit, hier Fortschritte zu erreichen, ist eine Energieversorgung der Gebäude im Verbund, das heißt, in Form von nachhaltigen Quartieren. Der Energieverbund ermöglicht eine erhöhte Integration von erneuerbaren Energien, eine maximale Ausnutzung effizienter dezentraler Erzeuger sowie eine bessere Nutzung von Wärme- und Stromspeichern – schlussendlich also eine wirtschaftlichere dezentrale Energieversorgung bei geringerem CO2-Ausstoß.

Im Forschungsvorhaben "MEMAP" widmet sich ein Team aus insgesamt sieben Unternehmen und Forschungseinrichtungen gemeinsam der Entwicklung einer offenen Softwareplattform, welche die Planung und den Betrieb von Quartierslösungen ermöglicht. Die sogenannte "Multi-Energie-Management und -Aggregations-Plattform" (MEMAP) erlaubt es, Gebäude mit unterschiedlichen Anforderungen an Energie zusammenzuschließen, um dadurch die Energieeffizienz im Verbund zu steigern.

Die Grafik zeigt eine Übersicht zu
Quelle: Sauter-Cumulus GmbH
Übersicht zu "MEMAP" und einem vernetzten Gebäudequartier: Die Gebäude sind über die darin installierten Steuer- und Regelungseinheiten ("Lokales EMS") an die Plattform angebunden.

"MEMAP" verbindet die gebäudeeigenen Steuer- und Regelungseinheiten der dort installierten Erzeuger, hier als "lokale EMS" bezeichnet, und kann durch Informationen zu den relevanten Systemzuständen und Prognosen zum Energiebedarf einen Fahrplan für einen optimalen Anlagenbetrieb berechnen. Intelligente Optimierungsverfahren reagieren unter Berücksichtigung von Prognosen auf Schwankungen beim Energiebedarf und der Erzeugung. Dies alles erfolgt in relativ kurzen zeitlichen Zeitschrittweiten und zeigt, wie eine "Echtzeit"-Energiewirtschaft funktionieren könnte. Mit der Anpassung individueller Zielfunktionen werden sowohl ökonomische als auch ökologische Faktoren im Betriebsfahrplan berücksichtigt. Die lokalen Regelungssysteme und Anlagen erhalten sodann eine Anforderung für das Ein- oder auch das Ausschalten entsprechend dem Fahrplan. Lokale Erzeuger haben die Möglichkeit, festzulegen, ob sie aktuell für die Plattform zur Verfügung stehen. Falls nicht, werden diese Erzeuger in der Berechnung nicht berücksichtigt.

Ein an die "MEMAP"-Plattform angekoppeltes Planungswerkzeug erlaubt es, energetische Berechnungen für neu geplante Quartiere oder den Ausbau bestehender durchzuführen. Einsparpotentiale und Emissionen im optimierten Energieverbund können so vorab abgeschätzt werden. Die dafür notwendigen technischen Anlagendaten können manuell eingegeben oder aber direkt aus einem BIM-Modell (BIM = Building Information Modeling) importiert werden. Eine Schnittstelle für den Datenaustausch ist vorhanden.

Das "MEMAP"-Benutzerportal gibt Kunden Auskunft über den Anlagenbetrieb im Quartier, die erzielte Einsparung und historische Betriebsdaten der jeweiligen Kundenanlage(n). Dies ist eine Möglichkeit, die der Kunde meist selbst nicht hat, da die eigene Anlagentechnik keine detaillierte Auswertung erlaubt.

Simulation

Am Beispiel von fünf typischen Wohn- und Geschäftsgebäuden in Riemerling bei München wird mit realitätsnaher Anlagenkonfiguration sowie entsprechenden Verbrauchs- und Erzeugungsprofilen das Einsparpotential eines fiktiven Energieverbundes berechnet.

Das heißt, die Varianten werden auf Basis der Verbrauchskosten miteinander verglichen, Investitions- und Betriebskosten sind nicht berücksichtigt und müssten in einer darauf aufbauenden Wirtschaftlichkeitsanalyse eingearbeitet werden. In der Simulation wird davon ausgegangen, dass die Gebäude untereinander mit einem auf das Gebiet zugeschnittenen, bidirektionalen Nahwärmenetz verbunden sind und alle Teilnehmer die gleiche Vorlauftemperatur benötigen. Die Netztopologie und die Leitungslängen für die Berücksichtigung der Transportverluste sind in der Abbildung das Satellitenbild eingezeichnet.

Plan eines Energieverbunds aus fünf Wohngebäuden mit unterschiedlichen Strom- und Wärmeerzeugern und einem bidirektionalen Nahwärmenetz.
Quelle: fortiss GmbH
Energieverbund aus fünf Wohngebäuden mit unterschiedlichen Strom- und Wärmeerzeugern und einem bidirektionalen Nahwärmenetz.

Als Umweltfaktor spielt das Wetter eine Rolle.

Um den Mehrwert eines mit "MEMAP" vernetzten Quartiers zu demonstrieren, werden zunächst die Energiekosten der einzelnen Gebäude über einen Zeitraum von sieben Tagen berechnet. Die Wärme- und Stromversorgung jedes einzelnen Teilnehmers erfolgt in diesem Fall über die hauseigene Anlage. Die Summe der Einzelkosten für eine solche, jeweils eigenständige Energieversorgung der fünf Gebäude liegt bei 712 Euro.

Das Diagramm zeigt die Kosten und CO2-Emissionen der fünf Einzelgebäude und des
Quelle: fortiss GmbH
Kosten und CO2-Emissionen der fünf Einzelgebäude und des "MEMAP"-Systems über den Simulationszeitraum von sieben wolkigen Sommertagen mit variablem Strompreis.

Analyseergebnisse

Mit dem Planungswerkzeug kann nun der Energieverbund der fünf Gebäude analysiert werden. Die zeitgesteuerte intelligente Vernetzung durch "MEMAP" optimiert den Einsatz der zur Verfügung stehenden Energieerzeuger unter Verwendung des Nahwärmenetzes. Im selben Zeitraum wie die Einzelsimulationen mit identischen Strompreis-, Sonnen- und Verbrauchsprofilen können mit dem "MEMAP"-System die Kosten in diesem Beispiel um ein Viertel auf 528 Euro reduziert werden.

Eine genauere Betrachtung der Ergebnisse zeigt, dass im Energieverbund mit "MEMAP" besonders effiziente Anlagen zur Energieversorgung bevorzugt eingesetzt werden und diese durch die großzügige Auslegung benachbarte Gebäude mitversorgen. Auch die Energiespeicher, die in der Einzelsimulation weitestgehend zur Glättung von Peaks gebraucht wurden, werden nun intensiver genutzt und die Sektorenkopplung entfaltet ihre volle Wirkung: Überschüssiger Strom kann nicht nur in der Batterie, sondern mithilfe der Wärmepumpe von Gebäude 3 (Büro 2) auch in allen Pufferspeichern gespeichert werden – vorausgesetzt die Transportlängen und damit -verluste sind nicht zu hoch. Gleichzeitig speisen die BHKW bei erhöhtem Wärmebedarf in den Morgen- und Abendstunden überschüssigen Strom in die in dieser Zeit sonst ungenutzte Batterie ein.

Eine Zusammenfassung der Strom- und Wärmeflüsse ist in der Abbildung dargestellt.

Die Grafik zeigt den bilanzierten Energietausch zwischen den Gebäuden eines Energieverbunds.
Quelle: fortiss GmbH
Der bilanzierte Energietausch zwischen den Gebäuden wählt stets die kosteneffizienteste Anlage zur Versorgung des Quartiers aus (Ergebnisse über einen Simulationszeitraum von sieben Tagen, in kWh).

Zu berücksichtigen ist hierbei, dass dies über den simulierten Zeitraum hinweg kumulierte Zahlen sind und die Energiefluss-Pfeile zu einzelnen Zeitpunkten (z.B. morgens/abends) in völlig andere Richtungen zeigen können. Da das Optimierungsziel in diesem Beispiel eine Reduktion der Gesamtkosten ist und das kosteneffizienteste BHKW in Gebäude 4 (Hotel) steht, wird es trotz der Transportverluste insgesamt einen Großteil der Wärme- und Stromversorgung im Gebäudeverbund übernehmen. Daneben erfolgt ein Großteil der Stromversorgung während dieser teilweise sonnigen Tage über die 40-kWp-Photovoltaikanlage des Gebäudes 3 (Büro 2). Das Optimierungsziel ist individuell anpassbar, auch eine Optimierung der CO2-Emissionen oder eine Kostenminimierung mit einem einstellbaren CO2-Preis ist mit dem "MEMAP"-Optimierungsalgorithmus möglich. Treibt man dies im Falle von Riemerling auf die Spitze, so können die CO2-Emissionen um >20 Prozent reduziert werden.

Weiterführende Informationen: https://memap-projekt.de/

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